|
Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische
Freundschaft
zusammengestellt von Dr. Uwe Meya
13. November 2003
Intensivierte Virus-Attacken auf Computernetzwerke
der Tibeter
Wie schon im vorigen Jahr [vergl. Tibet-Information vom 7.Oktober
2002; UM] verzeichnen die Tibetische Regierung im Exil und Unterstützergruppen
Virusattacken auf ihre Computernetzwerke. Diese Virus-Aktivität hat
sich im Monat Oktober deutlich intensiviert. Die Zunahme könnte mit
der auch im Oktober stattgefundenen internationalen Konferenz der Unterstützer-Gruppen
in Prag zusammenhängen.
Ein Computerspezialist, der die 400 Computer der Tibetischen Regierung
im Exil versorgt, sprach von einer „unglaublich hohen“ Intensität
der Attacken, die ihn täglich 4 Stunden seiner Arbeitszeit kosteten.
Die Viren waren in Mails mit vorgeblichem Absender von Mitarbeitern der
Exil-Administration oder von Microsoft versteckt und erschienen spezifisch
dazu gefertigt, vor der Konferenz in Prag an vertrauliche Informationen
über Aktivitäten der Unterstützergruppen oder die Agenda
des Dalai Lama zu gelangen. Die International Campaign for Tibet konnte
die Herkunft einiger virus-infizierter Mails bis zu einem Internet-Anbieter
in Beijing zurückverfolgen.
Als diese Aktivität offenbar wurde, schienen die Absender der Viren
ihre Strategie zu ändern und versteckten diese in Mails, die als
Herkunft diverse Tibet-Unterstützergruppen vorgaben. Während
das Netzwerk der Exil-Administration gut gegen Viren geschützt ist,
sind die Computer der Unterstützergruppen meist verletzlicher und
könnten so als „Hintertür“ zur Exil-Administration
genutzt werden.
Kalmükischer Präsident als Vermittler zwischen
Dalai Lama und Beijing?
Noch kürzlich [vergl. Tibet-Information vom 6. Oktober 2003; UM]
hatte sich der Präsident der Kalmükischen Republik in Russland,
Kalsan Ilyumzhinov, darüber beklagt, dass das russische Aussenministerium
dem Dalai Lama auf Druck aus China ein Einreise-Visum verweigert hatte.
Kurz darauf besuchte Präsident Ilyumzhinov auf Einladung der chinesischen
Regierung selbst China und Tibet. Offizielle Stellen in Russland, mit
deren Einverständnis Ilyumzhinov diese Reise angetreten hatte, dementierten
seine Rolle als Vermittler. Diese Rolle könne er nicht erfüllen,
da er als Buddhist nicht unparteilich sei und die Tibet-Frage ohnehin
eine „innerchinesische Angelegenheit“ darstelle. Allerdings
machte der Sprecher des russischen Aussenministeriums eine Bemerkung,
wonach Fortschritte in den Gesprächen zwischen dem Dalai Lama und
der chinesischen Regierung „wünschenswert“ seien. Associate
Press hingegen stellte Ilyumzhinov als „inoffiziellen Vermittler“
dar, der sich in Beijing auch mit Repräsentanten der chinesischen
Regierung getroffen habe.
In der vergangenen Woche traf Ilyumzhinov den Dalai Lama während
seines Japan-Besuches in Tokyo und beschrieb ihm seine Eindrücke
der Tibet-Reise. Ilyumzhinov zitierte den Dalai Lama, dass dieser an Kontakten
mit China „auf einer permanenten Basis“ interessiert sei und
sowohl auf eine Fortsetzung der China-Besuche seiner Gesandten hoffe als
auch auf eine Einladung an ihn selbst. Der Dalai Lama würde die territoriale
Integrität und Unteilbarkeit Chinas nicht in Frage stellen und sei
nach den Worten Ilyumzhinovs zuversichtlich, dass er in spätestens
drei Jahren nach Tibet zurückkehren könne. Zuvor müssten
aber noch Fragen bezüglich des massiven Zustroms von Chinesen nach
Tibet und des Umweltschutzes geklärt werden.
Ilyumzhinov sagte der Presse in Tokyo, dass er dem Dalai Lama „objektive
Informationen“ über die Situation in Tibet vermittelt habe.
Diese Informationen bestanden nach seinen Worten aus dem folgenden: „Ich
sagte ihm, dass die Religion vom Staat unterstützt wird, dass man
in Tibet investiert. Es gibt dort bereits vier Flughäfen, und die
Telekommunikation und Infrastruktur werden weiter entwickelt.“
Quellen: Associate Press
9. Oktober 2003
Wieder stirbt ein politischer Gefangener, hinterlässt „politisches
Testament"
Wieder ist ein politischer Gefangener an den Folgen erlittener
Misshandlungen gestorben. Der Mönch Nyima Drakpa ist am 2. Oktober
, nur 9 Tage nach seiner Hospitalisierung aus einem Gefängnis in
Dawu (heute in die chinesische Provinz Sichuan inkorporiert), verstorben.
Er war im Oktober 2002 zu 9 Jahren Haft verurteilt worden, weil er politische
Plakate hergestellt und verteilt hatte.
Er hatte mit Datum 1. April 2003 einen an den Dalai Lama addressierten
Brief verfasst, der als eine Art „politisches Testament“ zu
sehen ist und auf seinen ausdrücklichen Wunsch erst nach seinem Tode
veröffentlicht werden sollte. Dieser Brief konnte ins Ausland geschmuggelt
werden und wurde nun von Radio Free Asia der Oeffentlichkeit zugänglich
gemacht. Hier schildert Nyima Drakpa die seit seiner Verhaftung im März
2000 erlittenen Misshandlungen, verteidigt sein Handeln und sieht seinen
nahen Tod voraus.
Auszüge aus seinem Brief [deutsche Uebersetzung aus der englischen
Meldung von Radio Free Asis; UM]: „Ich weiss, dass ich nicht mehr
lange zu leben habe. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod…Nach
dem Studium der grossartigen Geschichte unserer Vorfahren, die unser Land
regiert haben, habe ich den Mut und den Willen, auch mein Leben für
die Tibeter zu opfern… Ich beschloss, mein Leben zu opfern und Plakate
aufzuhängen.“
Nach Berichten eines Augenzeugen konnte Nyima Drakpa bei der Aufnahme
in das Spital am 23. September nicht mehr sprechen, und seine Beine hätten
„dünn und leblos“ gewirkt. Ein Sprecher des Chinesischen
Büros für Staatssicherheit in Dawu teilte Radio Free Asia am
2. Oktober, dem Tage seines Todes, telefonisch mit, dass Nyima Drakpa
„bei guter Gesundheit und frei von Beschwerden“ sei.
China verstärkt Tibet-Propaganda im Internet
Eine Untersuchung, die durch das Tibet Information Network (London) durchgeführt
wurde, zeigt die Zunahme chinesisch dirigierter Propaganda über Tibet
im Internet. Die in der letzten Zeit in China eingerichteten Internet-Portale
wie „Tibetinfor“, „TibetOnline“, „TibetGuide“
und „China Tibetology Research Center“ zeichnen ein Tibet-Bild
ausschliesslich aus chinesischer Sichtweise. Darin wird Tibet dargestellt
als eine wilde, rückständige Region, wenngleich mit einer farbenfrohen
und exotischen Kultur. Die Internet-Portale zeigen die Tendenz, die Bedeutung
des Buddhismus herunter zu spielen und betonen stattdessen auffallend
Aspekte der tibetischen Kultur aus vor-buddhistischer Zeit.
Auftraggeber dieser Internet-Portale sind in der Regel chinesische Regierungsstellen,
und entsprechend beschreiben die aufgeschalteten Artikel jeweils auch
ausschliesslich Aspekte, die im Einklang mit der gegenwärtigen Politik
stehen, wie z.B. den Eisenbahnbau. Auch die Darstellung historischer Aspekte
folgt dem offiziellen Standpunkt, dass Tibet schon lange ein integraler
Bestandteil Chinas war, wie beispielsweise die folgende Feststellung von
„Tibetinfor“ [deutsche Uebersetzung aus dem Englischen; UM]:
„Die tibetischen Regionen befinden sich seit über 700 Jahren
unter der Jurisdiktion von China, und diese historische Beziehung basiert
auf einer über 1300-jährigen positiven Tradition von politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Kontakten zwischen den Han-Chinesen und
Tibetern.“
Mit der gleichzeitigen Unterdrückung ausländischer Internet-Adressen
über Tibet wird innerhalb Chinas damit ein noch stärker einseitiges
Bild von Tibet propagiert.
Quellen: Radio Free Asia; Center for Human
Rights and Democracy (TCHRD); Tibet Information Network
4. Oktober 2003
Russland verweigert dem Dalai Lama erneut ein Visum
Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres hat Russland dem Dalai Lama ein
Einreise-Visum verweigert. Der Dalai Lama plante, in der Kalmükischen
Republik einen Tempel einzuweihen. Die Verweigerung des Visums erfolgte
zeitgleich mit einem Besuch des russischen Ministerpräsidenten in
Beijing, wo dieser über ein Pipeline-Projekt mit China verhandelt.
Ein Sprecher des russischen Aussenministeriums sagte als Begründung,
man müsse die „internationalen Interessen Russlands“
berücksichtigen und streng auf die Einhaltung von „internationalen
Verpflichtungen, insbesondere den Freundschaftsvertrag mit China“
achten. China habe „eine negative Haltung“ gegenüber
den „internationalen Aktivitäten“ des Dalai Lama. Etwas
zynisch mutet die weitere Begründung an, Russland wolle mit der Verweigerung
des Visums die gegenwärtigen Gespräche der Repräsentanten
des Dalai Lama mit China nicht belasten.
Ein Sprecher der Kalmüken zeigte sich über die erneute Verweigerung
des Visums tief enttäuscht. In Russland leben ca. 1 Millionen Buddhisten.
Zuletzt hatte Russland den Dalai Lama vor 10 Jahren einreisen lassen.
China schliesst Klosterschule in Ost-Tibet; Gönner
spurlos verschwunden
Erneut hat China einen Ort der buddhistischen Lehre in Ost-Tibet geschlossen.
Ende Juli wurde eine in der Präfektur Ngaba (heute in die Provinz
Sichuan inkorporiert) gelegene und mit dem Kloster Kirti assoziierte tibetische
Schule, die ca. 800 Schüler beherbergte, offiziell geschlossen. Der
Gönner der Schule, der tibetische Geschäftsmann Soepa Nagur,
wurde Anfang August zu Gesprächen über die Schule in die Provinzhauptstadt
von Sichuan, Chengdu, bestellt und ist seither spurlos verschwunden.
Die Klosterschule wurde 1994 mit Spenden von Soepa Nagur gegründet
und beherbergte am Ende ca. 800 Schüler. Sie war besonders unter
armen Bauern und Nomaden sehr populär, welche ansonsten ihren Kindern
keine Schulbildung hätten bezahlen können. Das Curriculum umfasste
buddhistische Philosophie, Dialektik, tibetische Geschichte, Sprache,
Grammatik, Kalligraphie, Astrologie und Allgemeinwissen.
Im Jahre 1998 übernahmen die Behörden offiziell die Leitung
der Schule und ersetzten die religiösen Inhalte des Curriculum zunehmend
durch chinesische Sprache und sozialistische Philosophie, welche von chinesischen
Lehrern unterrichtet wurden. Auch wurde die Schule umbenannt und allen
Schülern Strafen angedroht, die den alten Namen weiter verwenden
wollten. Schliesslich wurden die tibetischen Schüler gezwungen, ihre
Mönchsroben abzulegen und chinesische Schuluniformen zu tragen. Vor
zwei Jahren wurde die Schule mit einer öffentlichen Schule zusammengelegt,
verlor aber zunehmend ihre tibetischen Schüler. Nach einem Protest
der tibetischen Eltern konnte die Schule kurz zur alten Normalität
zurückkehren. Jedoch wurde die Schule Ende Juli 2003, kurz vor Ende
der Sommerferien, offiziell für geschlossen erklärt.
Über das Schicksal der Schüler im Alter von 7-20 Jahren ist
nichts Konkretes bekannt. Viele Schüler sind offenbar zu ihren Eltern
zurückgekehrt, während andere um Aufnahme in das benachbarte
Kirti-Kloster gebeten haben.
Quellen: Los Angeles Times; Tibetan Center for
Human Rights and Democracy (TCHRD)
28. August 2003
Mobile Einheiten zur Geburtenkontrolle
Die Behörden der „Autonomen Region Tibet“ (TAR) haben
ihre Bemühungen zur Geburtenkontrolle auch in entlegenen Regionen
Tibets verschärft. Seit Mai sind insgesamt 64 speziell ausgerüstete
Fahrzeuge in Dienst gestellt worden, die als mobile „Familienplanungs-Kliniken“
in verschiedene Regionen Tibets entsandt werden. Laut der offiziellen
Nachrichtenagentur Xinhua sollen diese ambulanten Einheiten medizinische
Untersuchungen der Frauen vornehmen, Verhütungsmittel ausgeben, Richtlinien
der Familienplanung publik machen und auch Patiententransporte durchführen.
Tibeter, die in entlegenen Regionen wohnen, müssen nicht selten tagelange
Reisen auf sich nehmen, um lokale Gesundheitsposten zu besuchen. Diese
sind im Winter oder während der Regenperiode vollkommen unerreichbar.
Auch sind diese meist nur mit unzureichend ausgebildetem medizinischem
Hilfspersonal ausgestattet. Reisen in Hospitäler, die medizinisch
qualifiziertes Personal aufweisen, sind noch länger. Diese Umstände
dürften nicht unwesentlich zu der hohen Sterblichkeit unter werdenden
Müttern beitragen. Insofern werden viele Tibeterinnen die mobilen
Einheiten begrüssen.
Andererseits ist bekannt, dass Frauen, die bereits zwei oder drei Kinder
zur Welt gebracht haben, starken Pressionen zur Kontrazeption oder Sterilisation
ausgesetzt sind. Es ist Aufgabe der jeweiligen Repräsentantin der
chinesischen Frauenvereinigung auf Dorfebene, solche Frauen ausfindig
zu machen und diese an entsprechende Einrichtungen weiter zu verweisen.
Es ist daher zu erwarten, dass sich mit den mobilen Einheiten dieser Druck
auch in sehr entlegene Regionen ausweiten wird. Auch werden die einseitige
Ausrichtung von stationären und mobilen Einheiten auf hormonale Kontrazeption
in der Geburtenkontrolle anstatt einer mehr umfassenden Gesundheitserziehung,
die stark eingeschränkte Wahl anderer Verhütungmittel sowie
die zumeist mangelhafte medizinische Ausbildung des Personals kritisiert.
Widersprüchliche Signale aus China
Am 22. Juli publizierte People’s Daily, das offizielle Organ der
Kommunistischen Partei Chinas, eine ungewöhnlich ausführliche
Auseinandersetzung mit dem “Mittleren Weg”, den der Dalai
Lama für die Autonomie Tibets verfolgt. Beobachter erstaunte die
Ausführlichkeit und Sachlichkeit des Artikels, die von der bisherigen
pauschalen Verdammung und Polemik der Vergangenheit deutlich abweicht.
Dieser Artikel repräsentiert die längste und detaillierteste
Diskussion der Position des Dalai Lama, die bisher in der chinesischen
Presse erschienen ist. People’s Daily bestätigt dem Vorschlag
sogar “inhaltliche Reife”. Zwar wird dem Dalai Lama wieder
vorgeworfen, der Autonomie-Vorschlag verfolge im Geheimen noch immer die
volle Unabhängigkeit Tibets, doch überrascht die Abwesenheit
von Polemik, die in den Medien seit einigen Monaten weitgehend eingestellt
wurde.
Eine weitere Überraschung in diesem Artikel ist die Erwähnung
der chinesischen Provinzen Sichuan, Yunnan, Qinghai und Gansu, in die
Teile des historischen Tibet nach der Invasion inkorporiert wurden. Bisher
hatte Beijing sich kategorisch geweigert, diesen Punkt auch nur zur erwähnen,
während der Artikel jetzt den Versuch einer Rechtfertigung der Inkorporation
macht. Der künftige Status dieser ehemals tibetischen Gebiete stellt
eine der grössten Hürden in den Kontaktgesprächen zwischen
den Gesandten des Dalai Lama und der chineischen Regierung dar. Auch die
Tatsache, dass der Artikel während des Besuches des britischen Premierministers
Blair in China erschien, sorgte unter Beobachtern für Aufmerksamkeit.
In aller Regel wird in Chinas stark regulierter Presselandschaft der Zeitpunkt
der Publikation markanter Artikel nicht dem Zufall überlassen.
Beobachtern rätseln, ob dieses ein beginnendes Umdenken in der neuen
chinesischen Führung darstellt. Dieses könnte mit dadurch ausgelöst
und verstärkt sein, dass immer mehr tibetische Studenten zur Ausbildung
nach Beijing kommen und dort gemeinsam mit chinesischen Intellektuellen
die Tibet-Frage in zunehmender Offenheit diskutieren.
Andererseits hingegen verweigerte China einer neunköpfigen Delegation
von prominenten Exil-Tibetern die Einreise, angeblich weil diese „Spalter
der Nation“ seien. Der Besuch der Delegation, der unter anderem
auch drei ehemalige Kalons (Minister in der Regierung im Exil) angehören
sollten, war vor einem Jahr beim China-Besuch des Bruders des Dalai Lama,
Gyalo Thondup, ins Auge gefasst worden.
Quellen: Kate Saunders (freie Mitarbeiterin Tibet
Information Network); Xinhua; Radio Free Asia
3. Juli 2003
Bilanz des Tibet-Besuches der Gesandten des Dalai Lama
Die Gesandten des Dalai Lama haben ihren zweiten Besuch in China mit einer
positiven Bilanz abgeschlossen. Sie zeigten sich beeindruckt von "der
Aufmerksamkeit und Aufrichtigkeit", die China in den Gesprächen
zeigte. Auch wurde in der Presse-Erklärung positiv hervorgehoben,
dass den Gesandten der Besuch derjenigen tibetischen Regionen gestattet
wurde, die nach der Invasion in chinesische Provinzen integriert wurden.
Diese Regionen waren bisher von China strikt aus allen Betrachtungen zu
Tibet ausgeklammert worden. Die Gesandten äusserten sich positiv
über die Bemühungen Chinas, die Natur zu schützen und die
Lebensbedingungen der dortigen Menschen zu verbessern. Von chinesischer
Seite wurden die Bemühungen der Tibeter für ein "förderliches
Gesprächsklima" gelobt. Mit dieser Redewendung dürfte der
Aufruf der Regierung im Exil an die Tibeter und Unterstützer gemeint
sein, auf allzu drastische anti-chinesische Proteste zu verzichten oder
offen die Unabhängigkeit Tibets zu fordern.
Indessen äusserten sich unabhängige Beobachter kritischer über
einen Fortschritt zwischen beiden Seiten und hinterfragten die Motive
Chinas hinter diesem Dialog. Es fiel auf, dass die Presse-Erklärung
wenig Neues verglichen mit derjenigen von September letzten Jahres enthielt.
Dieses veranlasste einige Kommentatoren zu der Frage, ob die Gespräche
vielleicht ins Stocken geraten seien. In diese Richtung wurde auch die
Einlassung der Gesandten interpretiert, dass sich beide Seiten einig seien,
dass es in der Vergangenheit viele "Verwicklungen" in den Beziehungen
gab und es auch heute noch viele kontroverse Punkte gebe. Auch bemängelten
die Gesandten, dass ihnen nicht genug Zeit blieb, ein vollständiges
Bild über die Bewahrung der religiösen, kulturellen und sprachlichen
Identität in diesen Regionen zu gewinnen und betonten die Wichtigkeit
dieses Aspektes.
Beobachter rätseln weiter über die Motive Chinas, die hinter
der Fortsetzung dieses Dialoges stehen. Ist China ernsthaft interessiert,
die Tibet-Frage vor dem Ableben des jetzigen Dalai Lama zu regeln? Oder
ist es ein Hinhalten mit dem Versuch, die Tibet-Frage zu entpolitisieren,
indem allein die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen in den
Vordergrund gestellt wird?
Staatsbesuch des indischen Präsidenten in China
Anlässlich des Staatsbesuches des indischen Präsidenten
Vajpayee in China gab es eine Reihe von Vereinbarungen, die auch Tibet
betreffen. Erstmals hat Indien offiziell die "Autonome Region Tibet"
als zu China zugehörig anerkannt und sich dazu verpflichtet, "anti-chinesische
Aktivitäten" in Indien zu unterbinden. Mit dieser Redewendung
sind aus chinesischer Sicht alle Aktivitäten der Tibeter im Exil
gemeint. Im Gegenzug stimmte China zu, den Nathu-Pass an der Grenze zu
Sikkim für den Handel zu öffnen und anerkannte damit de facto
die Annexion Sikkims durch Indien. Die Annexion Sikkims im Jahre 1975
war von China heftig kritisiert worden und stellte ein wichtiges Element
in der Kontroverse um den Grenzverlauf zu Indien dar.
Interessant waren auch die Deutungen beider Staaten zu den angekündigten
Vereinbarungen. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua feierte die
indische Stellungnahme als Anerkennung, dass Tibet ein "integraler
Bestandteil" Chinas sei. Indien dementierte sofort und stellte klar,
dass man im Grunde nichts Neues gesagt habe und dass sich die Äusserung
nur auf die "Autonome Region Tibet" beziehe, man aber nichts
über "Tibet" (in seiner historischen Ausdehnung) gesagt
habe. Der Dalai Lama bleibe Gast Indiens, und an seinem Status ändere
sich nichts. Umgekehrt dementierte China, dass mit der Grenzöffnung
offiziell die Zugehörigkeit Sikkims zu Indien anerkannt sei und nannte
das Problem ein historisches Erbe, dass nicht über Nacht gelöst
werden könne.
Die Tibetische Regierung im Exil begrüsste die Einigungen als ein
förderliches Element auch zur Lösung der Tibet-Frage und bezeichnete
die Äusserungen zur "Autonomen Region Tibet" und zu "anti-chinesischen
Aktivitäten" als "Rhetorik" ohne signifikante praktische
Auswirkungen.
Quellen: Tibet Information Network; BBC News
6. Juni 2003
Gewaltsame Deportation von tibetischen Flüchtlingen in Nepal
Erstmals hat Nepal nach einer Intervention der dortigen chinesischen
Botschaft 18 tibetische Flüchtlinge, darunter 3 Jugendliche, gewaltsam
nach Tibet deportiert. Diese Praxis weicht nicht nur vom bisherigen "Gentlemans
Agreement" ab, nach dem Flüchtlinge dem UNHCR zur Weiterreise
in das indische Exil überstellt werden, sondern verletzt auch das
nepalische Einwanderungsgesetz.
Die Gruppe von ursprünglich 21 tibetischen Flüchtlingen wurde
nach Erreichen Nepals am 15. April festgenommen und zunächst im grenznahen
Gefängnis in Dilli Bazaar festgesetzt. Sie erhielten Geldstrafen
von umgerechnet bis zu Fr. 100 wegen "illegaler Einreise". Das
bisherige "Gentlemans Agreement" zwischen den Repräsentanten
der Tibetischen Regierung im Exil, dem UNHCR und der nepalischen Einwanderungsbehörde
sah vor, dass die Geldstrafen, die die tibetischen Flüchtlinge meist
nicht bezahlen können, von privaten Gönnern oder der Regierung
im Exil entrichtet werden und die Flüchtlinge dann dem UNHCR in Kathmandu
überstellt werden. Dieses organisiert darauf die Weiterreise in das
indische Exil.
Als ein Repräsentant der Tibetischen Regierung im Exil am 29. Mai
nach Dilli Bazaar kam, um die Strafen zu bezahlen, sah er sich dort mit
einem Vertreter der chinesischen Botschaft konfrontiert. Auf dessen Intervention
wurde die Auslösung der Gefangenen verhindert, die stattdessen in
ein Gefängnis in Kathmandu transferiert wurden. Drei Kinder im Alter
von unter 10 Jahren wurden später dem UNHCR übergeben. Am 31.
Mai wurden etwa 100 Exil-Tibeter, die sich frühmorgens vor dem Gefängnis
versammelt hatten, gewaltsam zurückgedrängt. Kurz darauf wurden
die 18 verbliebenen, sich heftig wehrenden Gefangenen, unter ihnen drei
Jungendliche im Alter von 13-18 Jahren, in ein wartendes Fahrzeug gezerrt
und zum Hauptquartier der Polizei gefahren. Dort wartete ein chinesischer
Kleinbus mit verdeckten Kontrollschildern und fuhr Richtung tibetische
Grenze davon, eskortiert von einem Fahrzeug mit bewaffneten nepalischen
Polizisten und einem chinesischen Botschaftswagen. Augenzeugen, die den
Konvoi bis zur Grenze verfolgten, berichteten, dass der Kleinbus die Grenze
passierte und kurz darauf nepalische Polizisten mit Fesseln und Handschellen
in der Hand den Grenzübergang zur Rückfahr nach Kathmandu überquerten.
Die Aktion, die heftigen internationalen Protest hervorruf, verletzt auch
das nepalische Einwanderungsgesetz. Dieses sieht keine Deportation in
das Herkunftsland vor, sondern die Freilassung der Gefangenen nach Entrichtung
der Geldstrafen. Einige Beobachter spekulieren, dass die Aktion von konservativen
chinesischen Kreisen inszeniert wurde, um den gegenwärtigen Besuch
der Repräsentanten des Dalai Lama in Beijing zu sabotieren.
Das Foto eines Augenzeugen wurde am 31. Mai vor dem Gefängnis
in Kathmandu aufgenommen. Es zeigt, wie sich eine Tibeterin vergeblich
vor den Kleinbus wirft, um die Deportation der Flüchtlinge zu verhindern
und von nepalischer Polizei weggezerrt wird.[Quelle: IGFM München]
Führungswechsel in Tibet: "Dritte Generation" übernimmt
Ein Führungswechsel bringt Tibeter der "Dritten Generation"
in Regierungsämter. Jampa Phuntsog wird neuer Präsident der
"Autonomen Region Tibet", und Legchok (der wie viele Tibeter
nur einen Namen hat) wird Präsident der Ständigen Ausschusses
des Tibetischen Volkskongresses. Sein Vorgänger, Ragdi, übernimmt
ein hochrangiges Amt im Chinesischen Volkskongress, verliert aber dadurch
seinen unmittelbaren Einfluss auf die tibetische Politik. Die neuen Amtsinhaber
vertreten als "Dritte Generation" die Schicht der Technokraten,
während die "Zweite Generation" eher aufgrund ideologischer
Kriterien zu ihren Ämtern kamen. Diese Änderungen stellen einen
Paradigmenwechsel dar, der technische Kompetenz höher bewertet als
soziale Herkunft oder ideologische "Linientreue". Von der neuen
Amtsinhabern erwarten Beobachter eine Fortsetzung der Politik der wirtschaftlichen
Entwicklung Tibets ohne Lockerung der politischen Freiheiten. Auch wurde
der bisherige tibetische Parteivorsitzende, Guo Jinlong, durch Yang Chuantang,
einen engen Vetrauten des neuen chinesischen Parteivorsitzenden und Staatspräsidenten
Hu Jintao abgelöst, der dadurch unmittelbaren Einfluss auf Tibet
nimmt. Noch nie war ein Tibeter lokaler Parteivorsitzender.
Quelle: Kate Saunders (Mitarbeiterin des Tibet Information Network);
Washington Post; Tibetan Center for Human Rights and Democracy (TCHRD)
16. Mai 2003
Staudamm-Projekte in Ost-Tibet führen zu Umsiedlungen
Im Rahmen des umfassenden Entwicklungsprogramms der "Westlichen
Regionen" wird noch in diesem Jahr mit dem Baubeginn für 7 Staudämme
in der ost-tibetischen Region Barkham gerechnet. Insgesamt sollen bis
zur Fertigstellung im Jahr 2006 etwa 8000 Tibeter von Umsiedlungen betroffen
sein. Die ersten 60 Familien, meist wenig wohlhabende Bauern, wurden bereits
im Dezember 2001 umgesiedelt. Wie erst jetzt bekannt wurde, drohten ihnen
die lokalen Behörden bei Widerstand gegen die Umsiedlung drastische
Geldstrafen an. Die versprochene finanzielle Kompensation wurde bis jetzt
nicht ausgezahlt. Viele der Familien gerieten in materielle Not und mussten
teilweise in das weit entfernte Lhasa übersiedeln, um Arbeit zu finden.
Ausserdem würden durch die Dammbauten buddhistische Tempel und andere
historische Monumente überflutet.
Die Dammbauten sind Teile des 1999 beschlossenen ambitiösen Entwicklungsprogramms
für die "Westlichen Regionen", als dessen Folge grosse
Mengen von Wasser als Trinkwasser oder zur Stromerzeugung in die industrialisierten
Regionen im Osten Chinas umgeleitet werden sollen.
Massnahmen gegen SARS schwächen tibetische Ökonomie
Die drastischen Präventivmassnahmen gegen die Verbreitung von
SARS nach Tibet zeigen Folgen. Wie Reisende berichten, ist der Tourismus
in Tibet praktisch zum Erliegen gekommen, da die Grenzen nach Nepal weiter
geschlossen sind. Während offizielle Verlautbarungen eine Lockerung
der Restriktionen für Mitte Juni erwarten lassen, sprach ein Vertreter
der Tibetan Tourism Corporation TTC von einer Abriegelung bis Ende August.
Die Touristen, die sich bereits vor Implementierung der Massnahmen in
Tibet aufhielten, wurden in den Hotels unter Quarantäne gestellt
und mussten dann ausreisen. Chinesen, die aus Furcht vor SARS in ihrer
Heimat nach Tibet reisen wollten, wurde die Einreise nach Tibet verweigert.
Nur noch wenige Rucksack-Touristen erreichen Tibet, doch ist ihnen die
Aufnahme in offizielle Hotels offenbar verweigert. Obwohl die Hotels leerstehen,
scheinen die staatlichen Hotels den Mitarbeitern mehrheitlich die Saläre
weiter auszuzahlen. Allein die tibetischen Pilger, die sich in der jetzt
beginnenden Saison auf den Weg machen, scheinen nicht an Zahl abgenommen
haben. Dagegen ist die Zahl der indischen Pilger drastisch zurück
gegangen.
Auf den drei Hauptstrassen, die Tibet mit Nepal und den Provinzen Xinghai
und Sichuan verbinden, sind nicht weniger als 22 Kontrollpunkte errichtet
worden. Hier wird den Reisenden die Temperatur gemessen und ihre Fahrzeuge
werden desinfiziert. Die Flugzeuge nach Lhasa sind nur noch spärlich
besetzt, und auch auf dem Flughafen wird allen Reisenden mittels einer
Infrarot-Kamera die Körpertemperatur bestimmt. Wenn diese Alarm schlägt,
werden die Passagiere ausgesondert und nochmals individuell untersucht.
In der Woche vom 1. - 7. Mai kontrollierten sogenannte Anti-SARS-Inspektionsgruppen
zahlreiche Spitäler, Gesundheitszentren, Apotheken und Verkehrsknotenpunkte.
Die Tatsache, dass die Inspektoren Schutzmasken trugen, führte zu
grosser öffentlicher Beunruhigung. Noch ist kein offizieller Fall
von SARS in Tibet bekannt, obwohl nach inoffiziellen Angaben 2 Verdachtsfälle
in Nord-Tibet gemeldet wurden [vergl. Tibet-Information vom 1. Mai 2003;
UM].
Die Massnahmen dürften erhebliche Folgen für die tibetische
Ökonomie haben. Da Tibet sehr stark auf den Gütertransport auf
dem Landweg angewiesen ist, könnten die Restriktionen bald zur eine
Güterknappheit in Tibet führen. Diese könnte möglicherweise
bis zum Wintereinbruch nicht mehr kompensiert werden. Auch wurden in der
Provinz Sichuan bereits die ersten Reisebegleiter entlassen. Ebenso leiden
Reiseveranstalter und Agenturen in Nepal unter der Schliessung der Grenze.
Quelle: Kate Saunders (Mitarbeiterin des Tibet Information Network);
BBC News Online; Tibetan Center for Human Rights and Democracy (TCHRD)
1. Mai 2003
Reisebegleiter in Tibet unter Druck
Für die diesjährige Reisesaison wurden 100 Reisebegleiter
aus verschiedenen chinesischen Provinzen nach Tibet delegiert, während
in den vergangenen Monaten 150 tibetische Reisebegleiter ihre Arbeit verloren
haben. Der Grund für den Verlust ihrer Arbeitsplätze waren offenbar
intensive Abklärungen ihres "politischen Hintergrundes".
Besonders nachteilig wurden vorherige Aufenthalte in Indien gewertet.
Nicht wenige tibetische Reisebegleiter hatten sich temporär in Indien
aufgehalten oder waren im indischen Exil geboren und konnten dann ihre
erworbenen Englisch-Kenntnisse vorteilhaft in bei ihrer Arbeit mit ausländische
Touristengruppen in Tibet einsetzen.
Im Sommer letzen Jahres führte das Tibet Tourism Bureau, das angeblich
unter starkem Einfluss des Büros für Öffentliche Sicherheit
steht, eine intensive Abklärung über die tibetischen Reisebegleiter
durch. Unter anderem mussten diese eine offizielle Bestätigung ihrer
Heimatbehörde bringen, dass sie niemals illegal ausgereist waren
oder sich in Indien aufgehalten hatten. Mehrere der in der Regel gut ausgebildeten
tibetischen Reisebegleiter fanden stattdessen eine Anstellung als Fahrer.
Laut einem Bericht der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua wurden die
neu eingestellten chineischen Reisebegleiter dazu angehalten, nicht nur
die "schönen Berge und Flüsse des Mutterlandes" anzupreisen,
sondern den Touristen auch ein "objektives Bild" des "neuen
Tibet" zu vermitteln und "spalterischen Tendenzen" entgegen
zu treten.
Im letzten Jahr besuchten nach offiziellen Angaben 850'000 Touristen Tibet,
ein Anstieg um 25% gegenüber dem Jahr 2001. Von diesen Touristen
waren 720'000 Chinesen, 29% mehr als im Vorjahr, und 130'000 Ausländer.
SARS erreicht Tibet
Grenze zu Nepal geschlossen
Aber: Fluglinie Guangzhou (Kanton) - Lhasa eröffnet
Die infektiöse SARS-Krankheit scheint sich innerhalb der verhältnismässig
armen Provinzen im Westen Chinas schnell zu verbreiten und hat nach der
Inneren Mongolei, Gansu und Sichuan nun auch tibetische Regionen errreicht.
Nach verlässlichen Berichten gibt es erste Fälle in den Städten
Xining und Golmud im Nordwesten des traditionellen Tibet (nun inkorporiert
in die chinesische Provinz Qinghai), wo auch öffentliche Aushänge
vor der Krankheit warnen. In Lhasa wurde eine telefonische Hotline für
Fragen über SARS eingerichtet. Aufgrund der durchweg schlechten Gesundheitsversorgung
in Tibet mit mangelnder Aufklärung, schlechter Hygiene und der Tendenz
offizieller Stellen, Probleme zu verbergen, ist eine rasche Ausbreitung
zu befürchten. Während China bereits umgerechnet Fr. 1.2 Millionen
in einen Notfallfonds zur SARS-Bekämpfung investiert hat, zieht die
in New York ansässige Trace Foundation ihre Mitarbeiter aus Tibet
zurück, weil sie für deren Gesundheit und allfällige medizinische
Versorgung nicht garantieren kann.
Widersprüchlich fallen ansonsten die offiziellen Reaktionen aus.
Auf der einen Seite hat China seit 27. April die Grenzen nach Nepal für
Touristen bis auf weiteres geschlossen, obwohl bisher in Nepal keine gesicherten
SARS-Fälle aufgetreten sind. Auf der anderen Seite hat Southern China
Airlines am 30. April Linienflüge zwischen Guangzhou (Kanton) und
Lhasa aufgenommen, obwohl die Weltgesundheitsorganisation WHO für
Guangzhou und die umliegende Provinz Guangdong bereits seit 2. April eine
Reisewarnung herausgegeben hat. Flugrouten haben sich weltweit als einer
der Hauptwege für die rasche Verbreitung der Krankheit erwiesen.
Der inzwischen abgesetzte Bürgermeister von Beijing, Meng Xuenong,
hat inszwischen zugegeben, dass er Berichte über SARS-Fälle
im November während des Parteitages der Kommunistischen Partei unterdrückt
hat. Er habe sich lediglich an die Partei-Direktive gehalten, die eine
"stabile politische Situation in der Hauptstadt" verlangte.
Quelle: Kate Saunders (Mitarbeiterin des Tibet Information Network)
3. April 2003
Weitere Verhaftungen und Berichte über Misshandlungen
in Ost-Tibet
Nach der Hinrichtung von Lobsang Dondrup, einem der beiden zum Tode
verurteilten Tibeter in Kandze (vergl. Tibet-Information vom 22. Januar
und 10. Februar; UM), mehren sich die Berichte über weitere Verhaftungen
und Misshandlungen. Anfang März wurden in der ost-tibetischen Stadt
Lithang zwei tibetische Geschäftsleute verhaftet, die dem zu Tode
mit Aufschub verurteilten Tenzin Deleg Rinpoche nahe stehen. Einer der
beiden Geschäftsleute, dessen Namen mit Tabo angegeben wurde, soll
Informationen über das Gerichtsverfahren an ausländische Journalisten
weitergegeben haben.
Der andere, mit Namen Didi, ist ein wohlhabender Geschäftsmann und
mit Tenzin Deleg Rinpoche verwandt. Er soll an dem Gerichtsverfahren vom
2. Dezember 2002 teilgenommen haben und gilt als Mäzen der zahlreichen
von Tenzin Deleg Rinpoche initiierten sozialen und Infrastruktur-Projekte
in der Region Lithang. Tenzin Deleg Rinpoche genoss hohes Ansehen für
sein Engagement für die Förderung von lokalen Schulen, Klöstern,
Waisenhäusern und sogar Verbesserung der Strassenverbindungen.
Insgesamt sollen 10 weitere Personen verhaftet worden sein, von denen
5 wieder freigelassen wurden. Ein Mönch, der eine Petition zur Freilassung
von Tenzin Deleg Rinpoche organisiert hatte, wurde 5 Jahren Haft verurteilt.
Alle Freigelassenen berichteten von Folter und schweren Misshandlungen
in Haft. Zwei Jugendliche seien spurlos verschwunden.
Nonne Ngawang Sangdrol in den USA
Eine der prominentesten politischen Gefangenen, die 26-jährige Nonne
Ngawang Sangdrol, durfte China mit Ziel USA verlassen, wo sie jetzt wegen
der Folgen der anhaltenden physischen Misshandlungen medizinisch behandelt
wird. Sie war bereits im Oktober 2002 aus der Haft entlassen worden und
stand seitdem in Lhasa de facto unter Hausarrest (vergl. Tibet-Information
vom 21. Oktober 2002; UM). Die Freilassung und schliesslich die Ausreise
in die USA wurden vor dem Hintergrund langjähriger Bemühungen
der Tibet-Unterstützer, Politiker und Parlamentarier aus verschiedenen
Ländern schliesslich durch monatelange Verhandlungen der in San Francisco
ansässigen Dui Hua Foundation mit der chinesischen Regierung möglich.
Die Dui Hua Foundation hatte bereits in der Vergangenheit erfolgreich
in Fällen von politischen Gefangenen vermittelt.
Ngawang Sangdrol war bereits als 10-jährige bei Strassendemonstrationen
in Lhasa aktiv und wurde im Alter von 13 Jahre erstmals verhaftet. Wegen
ihrer Standhaftigkeit und Unnachgiebigkeit war sie das Opfer besonders
schwerer Misshandlungen, und ihre Haftstrafen wurden mehrfach verlängert.
Grosse Bekanntheit im Ausland erlangte Ngawang Sangdrol, als es ihr mit
einigen Mitgefangenen gelang, ein Tonband mit Liedern aufzunehmen und
aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Regulär wäre sie nach
insgesamt 21 Jahren in Haft erst im November 2011 entlassen worden. Im
Oktober 2002 wurde sie wegen Anzeichen von "Besserung" aus der
Haft entlassen, stand aber de facto unter Hausarrest. Während sie
bei ihrer Schwester in Lhasa wohnte, wurde sie dauernd durch Sicherheitskräfte
observiert und musste sich regelmässig im Drapchi-Gefängnis
melden. Die Behörden liessen sie bis zum letzten Moment, bevor sie
das Flugzeug in die USA bestieg, über ihr Schicksal im Unklaren.
Direkt vor dem Abflug musste sie eine Erklärung unterzeichnen, dass
sie nicht an "anti-chinesischen Aktivitäten" teilnehmen
würde.
Quellen: Human Rights Watch; Radio Free Asia
10. Februar 2003
Nach der Exekution von Lobsang Dhondup:
Angehörige müssen schweigen
Am 22. Januar wurde der 23-jährige Tibeter Lobsang Dhondup unmittelbar
nach nichtöffentlicher Rekursverhandlung wegen angeblicher Verwicklung
in Bombenattentate im ost-tibetischen Kandze hingerichtet [vergl. Tibet-Information
vom 22. Januar; UM]. Die zunächst für den 10. Januar terminierte
Rekursverhandlung war ohne Angabe von Gründen verschoben worden und
fand - im Gegensatz zur ersten Verhandlung - wegen angeblicher "Staatsgeheimnisse"
unter Ausschluss der Oeffentlichkeit statt.
Die Angehörigen erfuhren von der Exekution erst 5 Tage danach durch
öffentliche Aushänge. Der Leichnam des Exekutierten wurde nicht
den Angehörigen übergeben, was eine Abweichung von früherer
Praxis darstellt. Angehörige klagten gegenüber Radio Free Asia,
dass ihnen unter Androhung von Strafe verboten wurde, sich gegenüber
anderen über die Exekution zu äussern. Auch dürfen sie
ihre Heimatdörfer nicht verlassen. Der andere zum Tode mit 2 Jahren
Aufschub verurteilte Tenzin Deleg Rinpoche wurde unterdessen an einen
unbekannten Ort gebracht.
Die Hinrichtung hatte weltweit heftige Proteste ausgelöst.
Geheimgespräche über die Rückkehr des Dalai Lama nach
Tibet?
Wie die Zeitung The Guardian erfahren haben will, sollen im März
Geheimgespräche über eine mögliche Rückkehr des Dalai
Lama nach Tibet aufgenommen werden. Dazu soll demnächst eine grosse
Delegation von Exil-Tibetern nach Beijing reisen. Gegenstand der Gespräche
sollen die genauen Umstände sein, unter denen eine Reise des Dalai
Lama nach Lhasa und seine permanente Rückkehr möglich würden.
Die Tibeter im Exil scheinen darauf zu hoffen, dass der designierte neue
Parteivorsitzende Hu Jintao, der sein Amt im März antritt, auf eine
konstruktive Lösung drängt. Ein Sprecher der Tibetischen Regierung
im Exil nahm nicht zu Details Stellung. Er sagte lediglich, dass es der
Wunsch des Dalai Lama sei, "eher früher als später"
und unter "Bedingungen, die die Mehrheit der Tibeter zufriedenstellen",
nach Tibet zurückzukehren.
Der Inhalt dieser Meldung wurde allerdings bisher von keiner anderen
Quelle bestätigt.
Quellen: Radio Free Asia; The Guardian
22. Januar 2003
Weitere Verhaftungen und Rekurs gegen Todesurteile
Die beiden wegen angeblicher Verwicklung in Bombenattentate in Ost-Tibet
zum Tode verurteilten Tibeter [vergl. Tibet-Information vom 6. Dezember
2002; UM] haben gegen die Urteile Rekurs eingelegt. Lobsang Dhondrup war
zum Tode, und der sehr angesehene religiöse Lehrer Tenzin Delek Rinpoche
zum Tode mit zweijähriger "Bewährungsfrist" verurteilt
worden. Der Status der Rekursverhandlung, die am 10. Janaur beginnen sollte,
ist unklar. Regierungsstellen weigerten sich, Fragen der Presse zum aktuellen
Status zu beantworten. Die Urteile hatten zahlreiche internationale Proteste
ausgelöst.
Es ist derzeit unklar, ob die Rekursverhandlung tatsächlich am 10.
Januar begonnen hat oder verschoben wurde. Fest steht, dass zwei prominente
chinesische Anwälte angeboten haben, die Verurteilten zu verteidigen,
was jedoch abgelehnt wurde.
In einem aus der Haft geschmuggelten Tonband versichert Tenzin Delek Rinpoche,
dass er unschuldig sei. Unterdessen wurde bekannt, dass noch weitere 10
Personen verhaftet wurden. Einer von ihnen wurde zu 5 Jahren Haft verurteilt.
ICT wirft China vor, dass alle Verhafteten gefoltert wurden.
Wende in der Tibet-Politik:
Taiwan lädt Dalai Lama zu einem Besuch ein
Der Präsident von Taiwan, Chen Shui Bian, hat den Dalai Lama
zu seinem dritten Besuch nach 1997 und 2001 auf die Insel eingeladen.
Er betonte, dass Taiwan die Tibeter nicht mehr als "Festlands-Chinesen"
betrachte. Gleichzeitig wurde die auf Kabinettsebene angesiedelte "Kommision
für Tibetische und Mongolische Angelegenheiten" aufgelöst.
An ihre Stelle tritt nun eine "Stiftung für Tibetisch-taiwanesischen
Austausch". Damit distanziert sich Taiwan implizit davon, Tibet und
die Mongolei offiziell als Teile von China anzusehen.
Nepal bricht "Gentlemen's Agreement" über Tibet-Flüchtlinge
In Nepal häufen sich die Verhaftungen von Flüchtlingen aus
Tibet. In wenigen Wochen sind bereits wenigstens 13 Flüchtlinge wegen
"illegaler Einreise" zu Haftstrafen verurteilt worden. Auch
werden unter gleichen Vorwürfen oft Tibeter verhaftet, die sich im
Transit von Indien auf dem Wege zurück nach Tibet befinden. Die Haftstrafen
betragen mehrere Jahre, und teilweise werden Tibeter auch festgehalten,
weil sie die hohen Geldstrafen - bis zu umgerechnet Fr. 4'000 - nicht
bezahlen können.
Damit bricht Nepal ein aus den 90er Jahren stammendes "Gentlemen's
Agreement" mit der Tibetischen Regierung im Exil und der UNHCR. Bisher
wurden Tibeter, die nach ihrer Flucht aus Tibet aufgegriffen wurden, an
die UNHCR in Kathmandu überstellt. Von dort wurde mit stillschweigender
Zustimmung der Regierung von Nepal deren Weitertransport in das indische
Exil organisiert.
Quellen: International Campaign for Tibet (ICT); BBC News; AFP; Tibet
Justice Center |