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Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft 20. Dezember 2022 Die Zahlen basieren auf einer Auswertung öffentlich zugänglicher Regierungsdokumente. Die Betroffenen hatten keine Möglichkeit, die Scans abzulesen, wie eine Mitteilung der Polizei an die Ortschaft Haidong im Bezirk Ledu zeigt: «Alle Dorfbewohner müssen vor Juni [2020] zur Polizeistation kommen, um Iris-Scans durchzuführen. Ansonsten werden wir Sie zur Verantwortung ziehen». Und weiter, Verweigerung der Scans mache es für sie in der Zukunft «schwierig, Tickets für Reisen zu kaufen oder Bargeld zu beziehen.» Hintergrund: Iris-Scans China hat Iris-Scans seit etwa 2015 verwendet, zunächst zur Auffindung vermisster Kinder. Seit 2017 werden massenhaft Iris-Scans in Ost-Turkestan (chin. Xinjiang) durchgeführt, zusammen mit DNA-Proben, Fingerabdrücken und Gesichts-Scans und in einer Datenbank in der Hauptstadt Urumqi gespeichert. Laut lokalen Polizeibehörden dienen die Daten zur Identifikation von «Zielpersonen». Diese sind unter anderem solche, die “Separatismus, Terrorismus, Extremismus oder andere Gefahren für die soziale Stabilität» fördern. Neue Bürgermeister in Tibets grössten Städten Der frühere Bürgermeister von Lhasa, der in der Bevölkerung unbeliebte Tibeter Gho Khog, wird angeblich der «Korruption» bezichtigt. Keine der Ernennungen wurden allerdings offiziell begründet. Der neue Bürgermeister von Lhasa, Wang Qiang, kam über das «Hilfe für Tibet» Programm in seine Ämter. Die Ernennung dürfte die Verdrängung von tibetischer Religion, Sprache und Kultur verstärken und liegt auf der Linie des neuen, ebenfalls chinesischen Parteisekretärs der «Autonomen Region Tibet» (TAR), Wang Junzheng, der im Februar 2022 auf einer Parteikonferenz in Lhasa von einer «neuen Reise zu einem sozialistischen, modernisierten Tibet» sprach. Allgemein wird davon ausgegangen, dass sich der Zustrom chinesischer Siedler und Arbeiter verstärken wird. Religiöse Feste im Dezember verboten Bitter Winter, 25. Februar 2020
6. Dezember 2022 Ein ausführlicher Bericht von Safeguard Defenders, der für Recherchen in China öffentlich zugängliche Dokumente verwendet, belegt 110 dieser «Stationen» in 53 Ländern. Der Start des Programms erfolgte bereits im Jahr 2015 in Italien. Neben Italien wurde das Einrichten dieser «Stationen» zunächst in einer «Pilotphase» auch in Kroatien, Rumänien und Serbien erprobt, bevor diese weltweit etabliert wurden. Weiterhin widerlegt der Bericht Einlassungen der chinesischen Regierung, dass es sich bei den Mitarbeitenden um «Freiwillige» handele. Regierungsoffizielle Dokumente aus China, die Safeguard Defenders auswertete, belegen gezielte Einstellungen von Personal in mehreren Ländern. Schon für die ersten 21 «Stationen» wurden 135 Mitarbeitende eingestellt. Federführend bei der Einrichtung und dem Betrieb dieser “Stationen» sind die Polizeidistrikte Nantong, Wenzhou, Qingtian, und Fuzhou unter der Leitung des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit. Gemeinsame Polizeipatrouillen und Zusammenarbeit mit mehreren Ländern Gemeinsame Patrouillen sind seit 2018 auch aus Belgrad und Zagreb dokumentiert, angeblich «zum Schutz von chinesischen Touristen». Laut einem Bericht der Jamestown Foundation von 2019 gibt es auch eine enge Zusammenarbeit zwischen der Regierung von Südafrika und den dort errichteten «Servicestationen», die laut chinesischen Pressemeldungen «die Beziehungen zu in Südafrika lebenden chinesischen Expats vertieften». Rückkehr nach China unter Drohungen The Guardian, 1. Dezember 2022
9. November 2022 Die Stationen werden von China als «Servicestationen» beschrieben, wo im Ausland lebende chinesische Staatsbürger zum Beispiel ihre Fahrerlaubnis verlängern, Änderungen in ihrem Zivilstand melden oder Gesundheitschecks wegen Corona vornehmen können. Tatsächlich aber werden durch diese Stationen offenbar Dissidenten und andere Bürgerinnen und Bürger unter Druck gesetzt, ihre Aktivitäten aufzugeben oder sogar nach China zurückzukehren. Ein in den Niederlanden lebender Chinese, der durch China-kritische Posts in Sozialen Medien aufgefallen war, erhielt einen Anruf von der Station in Rotterdam, nach China zurückzukehren, um «dort seine Probleme zu lösen». Er solle auch «an seine [in China lebenden; UM] Eltern denken». Eine Chinesin in Madrid sollte sich in Qingtian in der Provinz Zhejiang wegen angeblicher Umweltverschmutzung verantworten und dazu nach China zurückkehren. Hierzu wurde sie von der Station in Madrid zu einer «Belehrung» eingeladen. Danach wurde sie per Videoschaltung durch die Polizei in Qingtian angehört. Von der Anhörung in Madrid existiert ein Video, in dem die dortige Station als «»Ausländisches Servicecenter in Madrid» der Polizeistation in Qingtian bezeichnet wird. Die Chinesin kehrte danach nach China zurück. Es ist nicht bekannt, was mit ihr dort weiter geschah. Eine ähnliche «Belehrung» ist von einem Chinesen in Belgrad bekannt. Auch hier bezeichnete sich diese Station als «ausländische Station der Polizei von Qingtian», und auch dieser Bürger kehrte «freiwillig» nach China zurück. Nicht selten werden bei Verweigerung der «freiwilligen» Rückkehr Drohungen eingesetzt, zum Beispiel gegen in China lebende Familienmitglieder oder die Verweigerung von Schulerziehung für in China zurückgelassene Kinder. Die im Exil arbeitende «Toronto Association for Democracy in China” berichtet von Anrufen teilweise mitten in der Nacht mit Drohungen wie «deine Familienmitglieder werden keine Arbeit finden, wenn du nicht kooperierst», «die Telefonnummern deiner Eltern werden online veröffentlicht, und sie werden belästigt werden», oder speziell an Uiguren «der Rest deiner Familie wird in Lagern landen». Inzwischen haben die Regierungen von 14 Ländern Untersuchungen gegen diese «Stationen» eingeleitet, darunter Österreich, Kanada, Chile, Tschechische Republik, Deutschland, Irland, Nigeria, Portugal, Spanien, Schweden, Niederlande, Grossbritannien und die USA. Zur gleichen Zeit richteten drei Tibet-Organisationen einen Brief an den niederländischen Premierminister Rutte. Sie informierten ihn, dass mehrere in den Niederlanden lebende Personen tibetischer Herkunft Anrufe von unbekannten Personen erhalten hätten. In einigen Fällen bezeichneten sich die Anrufer als Mitarbeiter der chinesischen Botschaft, andere machten keine Angaben. Ein Gespräch mit einschüchternden Stellungnahmen des Anrufers wurde aufgezeichnet und der Polizei übergeben. Schon am 18. Januar 2022 hatte Safeguard Defenders einen Bericht über 62 Fälle von zwangsweisen «Rückführungen» von chinesischen Bürgerinnen und Bürgern berichtet. Der weitaus grösste Teil der Rückführungen erfolgt durch – nach unserem Rechtsverständnis – illegale Handlungen der chinesischen Regierung im Ausland, in China auch zynisch als «Fuchsjagd» bezeichnet. Gedeckt wird diese Praxis durch einen Artikel im chinesischen «Nationalen Überwachungsgesetz» von 2018, das unter anderem folgende Praktiken zulässt: die Entführung aus Drittstaaten, oder das Locken von Zielpersonen mit falschen Versprechungen oder Erpressung entweder direkt nach China, oder auf Seeschiffe oder internationale Flüge in Drittstaaten, die diese Personen dann bereitwillig nach China ausliefern. Vor 2 Jahren sorgte ein geheimes Abkommen zwischen der Schweiz und China für Empörung, das Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit die Möglichkeit gab, sich hier bis zu 2 Wochen ohne offiziellen Status aufzuhalten, um Individuen zu interviewen, die aus der Schweiz nach China zurückgeführt werden sollen. Auf allgemeine Verwunderung stiess die Tatsache, dass dieses Abkommen geheim gehalten und nicht einmal dem Nationalrat oder der Aussenpolitischen Kommission zur Kenntnis gebracht wurde. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiteten mit einem Touristenvisum, das ihnen freie Einreise in die Länder des Schengen-Abkommens ermöglichte. In der Schweiz erhielten sie sogar Tagesspesen von Fr. 200.- [vergl. Tibet-Information vom 10. Dezember 2020; UM]. Safeguard Defenders, 15. September 2022 und 7. November 2022 Über 200 Verhaftungen nach den Unruhen in Lhasa Der grösste Teil der verhafteten chinesischen Wanderarbeiter ist wieder auf freiem Fuss und durfte zurück nach China reisen, während den tibetischen Verhafteten mitgeteilt wurde, sie würden am 29. Oktober freigelassen. Es sind keine Informationen erhältlich, ob dieses wirklich erfolgte. Radio Free Asia, 3. November 2022
28. Oktober 2022 Mehrere Fotos und Videos der Proteste erschienen auf chinesischen sozialen Medienplattformen wie Douyin, wurden zwar rasch durch die Zensur gelöscht, verbreiteten sich aber dennoch auf anderen Plattformen weiter. Die Videos, von denen zumindest die meisten eindeutig Lhasa zugeordnet werden konnten, zeigen am Nachmittag und Abend des 26. Oktober an mehreren Orten in Lhasa hunderte von Personen auf den Strassen. Polizei und Personen in weissen Schutzanzügen versuchen, die Menge aufzuhalten und zurückzudrängen. Auch wurden Strassen durch Fahrzeuge blockiert. Es sind Lautsprecherdurchsagen zu hören, die die Protestierenden auffordern, «Verständnis zu zeigen» und wegzugehen. Offenbar handelt es sich bei den Protestierenden mehrheitlich um Han-chinesische Arbeitsmigranten, die unter dem rigiden Lockdown in Lhasa leiden. In Sprechchören fordern sie, zurück nach Hause gehen zu dürfen. Auch sind tibetische Parolen zu hören. Obwohl nicht alle Parolen verständlich sind, wird von mehreren Quellen berichtet, dass die Drohung ertönte, man würde «ein Feuer entfachen». Es ist unklar, ob darauf auf Selbstverbrennungen angespielt wird. Zahlreiche Beiträge in sozialen Medien seit August beklagen, dass sich die Bevölkerung nicht rechtzeitig auf den radikalen und langdauernden Lockdown vorbereiten konnte, die Lebensmittelvorräte zur Neige gingen und medizinische Behandlung fehle [vergl. Tibet-Information vom 26. September 2022; UM]. Mehrere Beiträge berichten von ununterbrochener Isolation über nahezu 80 Tage. Es seien kaum noch Lebensmittel zu erhalten, und die Preise seien enorm gestiegen. Arbeitsmigranten klagen, dass sie während der Isolation keinen Lohn erhielten und daher das Geld ausgehe, um Lebensmittel zu kaufen. In Lhasa kam es wegen der Zustände zu mindestens 5 Selbstmorden [vergl. Tibet-Information vom 4. Oktober 2022; UM]. Aus der Stadt Ghulja in Ost-Turkestan (chin. Xinjiang) wurden im September 22 Todesfälle wegen unzureichender medizinischer Behandlung und durch Verhungern gemeldet. Video auf Youtube: https://youtu.be/tf1P00j4JxA
24. Oktober 2022 Alle befanden sich schon vor der Verurteilung für ein bis zwei Jahre in Haft, ohne dass sie mit Aussenstehenden Kontakt aufnehmen konnten. Die Verhaftungen und der Strafprozess liefen unter grosser Geheimhaltung. Es ist nicht bekannt ist, in welchem Gesundheitszustand sie sich befinden. Alle Verhafteten hatten nach Informationen von Informanten schon vorher Strafen wegen anderer «Vergehen» erhalten. Am 13. Oktober verhaftete die Polizei fünf Tibeter, offenbar weil sie mit einem Loblied auf den Dalai Lama an einem Musikwettbewerb auf der in China populären Video-Plattform Kuaishou teilgenommen hatten. Die Verhaftungen erfolgten in der Wohnung des Sängers mit dem Namen Derab in der Präfektur Golog im Nordosten Tibets. Die Namen der anderen Verhaftungen, unter ihnen der Komponist des Liedes, sind nicht bekannt. Im Lied heisst es unter anderem: «Edler Lama wurde in Tibet geboren. Tugendhafte Taten in fremden Ländern vollbracht. Liebender und mitfühlender Lama. Bete für seine baldige Rückkehr». Das Life-Streaming des Wettbewerbs geht normalerweise über 24 Stunden; kurz nach dem Lied von Derab wurde der Wettbewerb nach eineinhalb Stunden abgebrochen. Derab wurde von allen künftigen Musikwettbewerben ausgeschlossen und gezwungen, eine Erklärung zu unterzeichnen, in der er auf weitere Teilnahmen verzichtet. Bis auf den Komponisten des Liedes sind inzwischen alle wieder auf freiem Fuss. Organiser (Indien), 17. Oktober 2022 Zwangsfernsehen: Tibeter müssen Sendung über Parteitag live verfolgen und dürfen das Haus nicht verlassen Das zwangsweise Verfolgen der Sendungen wurde auch aus anderen Regionen Tibets bekannt. In den Klöstern der Präfekturen Ngaba, Kardze und Golog im Norden und Osten Tibets, heute in den Provinzen Sichuan und Qinghai, wurde Mönchen und Nonnen befohlen, die Fernsehsendungen zu verfolgen. In der Präfektur Ngaba sind auch zwei Schulen bekannt, in denen Schülerinnen und Schüler den gesamten Parteitag im Fernsehen ansehen mussten. Radio Free Asia, 17. Oktober 2022
13. Oktober 2022 Im Namen der «Verbrechensbekämpfung» kam es überall in China, und speziell auch in Xinjiang und Tibet, zu politisch motivierten Verhaftungen. Die Regierung der VR China änderte ihre Wortwahl weg von expliziten Begriffen wie «Dalai Clique», «Separatisten» oder «anti-chinesischen Kräften im Westen» hin zu unverfänglichen Formulierungen wie «entschlossen am Prinzip 'kein Ärger, kein Chaos für die Zentralregierung' festhalten", "streng überwachen und kontrollieren", "Schlüsselbereiche im Auge behalten", "versteckte Probleme rechtzeitig entdecken und umgehend beheben" und "mit eiserner Disziplin für die Umsetzung sorgen". Mit diesen diffusen Formulierungen lassen sich willkürliche Verhaftungen rechtfertigen, ohne den Eindruck zu erwecken, in Freiheitsrechte einzugreifen. Tibet Times berichtete schon im August von mindestens 13 Verhaftungen in Tibet. Die Betroffenen sollen Bilder des Dalai Lama in ihrer Wohnung oder im Auto gezeigt oder Informationen mit dem Ausland ausgetauscht haben. Weiterhin fanden in Lhasa Versammlungen statt und mahnen aufgehängte Banner zur «digitalen Sicherheit», was im Wesentlichen Warnungen vor dem Senden von Nachrichten an Familienmitglieder oder Geschäftspartner im Ausland bedeutet. Diese Kampagne erinnert an eine frühere Kampagne «Fege das Schwarze weg und beseitige das Böse» von 2018 bis 2021. Als «bösartige Kraft» wurde 2019 im Rahmen dieser Kampagne der Antikorruptions-Aktivist Anya Sengdra zu 7 Jahren Haft verurteilt. Auch in Xinjiang liegt der Fokus dieser neuen Kampagne augenscheinlich nicht auf Verbrechen, sondern «illoyalen Uiguren». Der Polizeipräsident der Stadt Hotan erklärte, dass «Diebe» nur am Rande interessierten, vielmehr ziele man auf «illoyale Personen» ab. Tibet Times, 3. August 2022 Rassistische Stellungnahme gegen Tibeter erzwingt Entschuldigung Selbst dem Büro für Öffentliche Sicherheit ging das offenbar zu weit. In einer offiziellen Verlautbarung hiess es kurz darauf, dass «am 8. Oktober 2022 in unserer Stadt unangemessene Äusserungen [gepostet wurden], die die nationale Einheit untergruben, [und] auf Plattformen sozialer Netzwerke erneut gepostet [wurden]. Nachdem unser Büro eine Untersuchung eingeleitet hatte, wurde die Herausgeberin der Äusserungen, Liu XX, ermittelt. Derzeit hat unser Büro Ermittlungen durchgeführt und Beweise gesammelt und wird seine rechtliche Verantwortung in Übereinstimmung mit dem Gesetz wahrnehmen.» Kurz darauf erschien ein Video von «Liu», in dem eine nur verschwommen gezeigte Frau eine Entschuldigung anbietet: «Ich habe in der (WeChat)-Gruppe etwas gepostet, das sich negativ auf die Einheit der Nation auswirkt, und das hatte grosse Auswirkungen auf die Gesellschaft. An dieser Stelle möchte ich mich bei der Regierung und der breiten Öffentlichkeit zutiefst entschuldigen. Ich werde so etwas in Zukunft nicht mehr tun. Es tut mir leid.» Bemerkenswert ist zweierlei: weder die Behörden noch die angebliche Urheberin bezeichnen die Äusserung als «rassistisch»; es heisst lediglich, sie sei «unangemessen». Und die Entschuldigung erfolgt nicht gegenüber den Betroffenen direkt, sondern gegenüber der «Regierung» und der «breiten Öffentlichkeit». International Campaign for Tibet (ICT), 11. Oktober 2022
4. Oktober 2022 Seit August sind in den grössten Städten wie Lhasa und Shigatse strenge und willkürlich anmutende Isolationsmassnahmen in Kraft. Betroffene berichten in sozialen Medien über die unterschiedslose Isolation von negativ und positiv Getesteten, die teils über Stunden zusammen in Bussen vor den Zentren ausharren müssen und ebenso unterschiedslos in teils nur im Rohbau fertigen Häusern zusammengesperrt werden. Hier stecken sich mutmasslich noch Gesunde an; medizinische Hilfe für akut Erkrankte sei oft nicht vorhanden. Eine Schwangere habe eine Fehlgeburt erlitten. Radio Free Asia berichtet von drei Todesfällen, unter ihnen ein tibetischer Arzt, aufgrund fehlender medizinischer Betreuung. Die Behörden verhielten sich gleichgültig, die sanitären Zustände in den Unterkünften seien prekär und das Essen bleibe oft aus oder sei verdorben. Manche würden zahlreichen Covid-Tests unterzogen (ein Betroffener berichtete von 24 Test, von denen nur der letzte positiv gewesen sei), andere klagten über ausgefalle Tests, weil kein medizinisches Personal erschien [vergl. Tibet-Informationen vom 29. August und 26. September 2022; UM]. Zwar drohen die Behörden mit Strafen bei Verbreitung derartiger Nachrichten auf Weibo und die Zensurbehörde löscht Beiträge schnell, konnte aber die Flut von Posts in den sozialen Netzwerken nicht rechtzeitig bewältigen. Nach einer ungewöhnlichen offen abgegebenen Entschuldigung des Vize-Bürgermeisters von Lhasa seien die Strafen dann sofort durchgesetzt worden; alle, die noch weiter Posts verfassten, seien inzwischen in Haft. Radio Free Asia, 16. September 2022 Zwei Tote nach Misshandlung in Haft Chukdhar, 55 Jahre alt, wurde am 24. August mit vier anderen Tibetern verhaftet. Anlass war angeblich die Sangsol-Zeremonie, die sie in der buddhistischen Akademie Larung Gar abhielten, sowie das Aufschichten von Mani-Steinen. Die fünf Tibeter waren in der Region für ihre Grosszügigkeit und das Abhalten von Gebetszeremonien als die «Edlen Fünf» bekannt. Am 25. August wurde den Angehörigen verweigert, die Verhafteten zu besuchen und Essen zu bringen. Einen Tag später, am 26. August, wurde die Famile von Chukdhar über seinen «plötzlichen Tod» informiert. Das sei nicht glaubhaft, zumal er bis zwei Tage vorher bei perfekter Gesundheit gewesen sei. Die Leiche durfte erst abgeholt werden, nachdem die Angehörigen eine Erklärung unterzeichneten, dass die Haft nichts mit dem Todesfall zu tun habe. Auch wurde ihnen eine grosszügige finanzielle Entschädigung angeboten, aber bisher noch nicht ausgezahlt. Chukdhar sei der einzige Ernährer seiner beiden Eltern, seiner Frau und ihrer Kinder gewesen. Ngodup Tsering, dessen Alter nicht bekannt ist, wurde am Morgen des 27. September in Dartsedo im Osten Tibets, heutige Provinz Sichuan, verhaftet. Er war gerade von einer Hilfsmission zurückgekehrt, wo er Essen in ein Altersheim gebracht hatte. Die Polizei habe mitgeteilt, dass die Behörden bestens mit Essen und anderen Dingen für die Alten sorgten und ein «Aussenstehender» dort nichts zu suchen habe. Laut Tibet Times sei er wegen «unangemessenem Gesichtsausdruck» in der Polizeistation schwer misshandelt wurde, bis er nicht mehr stehen konnte. Am nächsten Morgen sei er verstorben. Es ist nicht bekannt, ob sein Leichnam den Angehörigen übergeben wurde. Ngodup Tsering war Taxifahrer und bestritt damit den Lebensunterhalt seiner Mutter, Frau und zwei Kinder. Tibet Times, 28. September 2022
26. September 2022 Drohungen und Sanktionen gegen «Verbreitung von Gerüchten» Schilderungen der Missstände Viele Tibeterinnen und Tibeter klagen, dass sie in Isolation ohne ausreichende Ernährung und medizinische Hilfe blieben. Oft gebe es nur eine Mahlzeit am Tag. Das Spital in Lhasa sei voll, und Infizierte würden stattdessen in ein Isolationszentrum gebracht, wo sie erst 3 Tage später medizinisch betreut wurden. Viele beschweren sich, weil Anfragen nach medizinischer Hilfe ignoriert wurden. Eine Schwangere habe in Isolation eine Fehlgeburt erlitten, weil ihr medizinische Hilfe verweigert wurde. Ein User beklagte sich, dass er nun 34 Tage in Isolation sei und sich 24 Tests unterziehen musste, und nur der letzte sei positiv ausgefallen. Umgekehrt mussten Personen mit Symptomen mehrere Tage warten, ehe sie überhaupt getestet wurden. Behörden sollen ganze Familiengemeinschaften auffordern, in Isolation zu gehen, gleichgültig ob sie positiv oder negativ getestet sind. Die Aufforderung enthielt auch eine versteckte Warnung, dass diejenigen, die trotz negativem Test nicht freiwillig in Isolation gehen, bei einem späteren positiven Test in schlechtere Unterkünfte müssten. Auf der Fahrt würden positiv und negativ Getestete ohne Abstandsregelung im gleichen Bus zu den Unterkünften gefahren und dort auch in Betten nebeneinander untergebracht. Ein User schilderte, dass die Betroffenen im Bus nach Ankunft im Isolationszentrum noch 5 Stunden warten mussten, ehe ihnen eine Unterkunft zugewiesen wurde. Mehrere berichteten, dass sie auch nach Ankunft zunächst negativ getestet wurden, sich aber später ansteckten. Die Unterkünfte, in denen Isolierte untergebracht werden, sind teilweise nur Rohbauten. Fotos auf Weibo zeigen Räume mit nackten Wänden, in denen in engem Abstand Reihen von Betten stehen. Ein Foto zeigt eine völlig verschmutze und überflutete Toilette. Auf Weibo gibt mehrere Berichte und Fotos von vergammelten Nahrungsmitteln, die geliefert wurden. Es kursieren Bezeichnungen wie «Schweineställe» für diese Unterkünfte. Nahrungsmittel werden im Lockdown knapp Entschuldigungen und Ablenkung Nachdem ähnliche Schilderungen und Beschwerden auch aus Xinjiang auf Weibo begannen, griffen die Zensoren zu einem Ablenkungsmanöver und überschwemmten die Plattform zunächst mit Tourismustipps, dann tagelangen Beiträgen zum Tod von Elisabeth II. Sarkastisch bemerkte der chinesische Journalist Chu Yang, der Tod der Queen habe Weibo gerettet. Tibetan Centre for Human Rights and Democracy, 18. September 2022
15. September 2022 Das systematische Sammeln von DNA-Proben in China begann 2019 im Rahmen einer Kampagne der «drei Grossen», nämlich «Inspektion, Untersuchung und Vermittlung», um die lokale Polizeiarbeit zu unterstützen. Ein Jahr später wurde eine nationale DNA-Datenbank aufgesetzt, die Daten von mindestens 40 Millionen Bürgerinnen und Bürgern umfasst. Zunächst schien die Sammlung von Proben auf Personen mit kriminellem Hintergrund beschränkt, wurde später aber mit der Begründung es würde der «Verbrechensaufklärung» dienen, auf die generelle Öffentlichkeit ausgedehnt. Die Sammlung in Tibet begann Citizen Lab zufolge aber offenbar schon vorher, nämlich im Jahr 2016 unter dem damaligen Parteisekretär Chen Quanguo, der später im gleichen Amt in Xinjiang den Kontroll- und Unterdrückungsapparat perfektionierte. Basierend auf einer systematischen Auswertung von 100 öffentlich zugänglichen Quellen fand Citizen Lab 44 Berichte über DNA-Probensammlungen in 14 Regionen der sogenannten «Autonomen Region Tibet» (TAR), die von der Polizei durchgeführt wurden. Es gibt auch einzelne Hinweise auf Probenentnahmen ausserhalb der TAR. Nach Auswertung aller Quellen schliesst Citizen Lab auf insgesamt zwischen 900'000 und 1.2 Millionen Proben, die entnommen wurden, was etwa einem Viertel bis einem Drittel der gesamten Bevölkerung Tibets entspricht. Von der US-amerikanischen Firma Thermo Fisher orderten die Behörden gemäss öffentlich zugänglichen Dokumenten Probenbehälter im Wert von US-$ 1.6 Millionen. Die Polizei in Lhasa rüstete ein bereits bestehendes Analysegerät, ebenfalls von Thermo Fisher, für den Preis von US-$ 137'000 auf. In einem Polizeidokument wurde gefordert, «kein Dorf aus einer Ortschaft, kein Haushalt aus einem Dorf, und keine einzige Person» darf ausgelassen werden. Ein anderes Polizeidokument beschrieb die Probensammlung in einem Kindergarten, ohne Hinweise darauf, ob die Eltern in irgendeiner Weise involviert waren. Ein anderer Polizeibericht über die Probensammlung in einer Schule rühmte, dass die Durchführenden «prompt alle Zweifel und Bedenken der Massen zerstreut und Unterstützung und Verständnis von den Anwesenden erhalten» hätten. Human Rights Watch, 13.September 2022 Phayul, 14. September 2022
29. August 2022 Als Zentrum des Ausbruches wurde die zweitgrösste Stadt, Shigatse, identifiziert. Ab 8. August wurde eine dreitägige Ausgangssperre verhängt. Tausende von Touristen sassen dort fest. Die Behörden verlangen zwei negative Covid-Tests im Abstand von drei Tagen, dazu noch einen negativen Test direkt vor der Ausreise von Tibet am Flughafen oder Bahnhof. In der chinesischen Stadt Shijiazhuang wurden am 17. August 12 Reisende im Zug von Lhasa bei einer „Ankunftsinspektion“ positiv getestet, obwohl sie bei Abfahrt in Lhasa ein negatives Resultat vorwiesen. Ein Tourist berichtete dem chinesischen Nachrichtenportal Caixin unter einem Pseudonym über die Zustände in Shigatse. Er habe für den 11. August für seine Ausreise einen Covid-Test gebucht, der aber ausfiel, weil kein medizinisches Personal anwesend war. Auch träfen häufig die Resultate, die eigentlich innerhalb drei Tagen verfügbar sein sollten, nur verspätet ein. Dadurch verpassten viele Reisende ihre umgebuchten Flüge. Ein nicht namentlich genannter Gesundheitsarbeiter berichtete Caxin, dass der PCR-Test in „höchst primitiver Weise“ durchgeführt werde und es überall an geschultem Personal mangele. Vom 15. bis 18. August fand in Lhasa eine „Desinfektionsmassnahme“ statt, und es galt bis 21. August ein partieller Lockdown: öffentliche Zusammenkünfte waren untersagt, und niemand durfte ausser in Notfällen das Haus verlassen. In Shigatse wurden am 12. August fünf Funktionäre wegen „mangelhafter Implementierung der Präventions- und Kontrollmassnahmen“ entlassen, und am 17. August mussten aus gleichem Grund drei Funktionäre in Lhasa ihren Platz räumen. Informanten von ICT glauben aber, dass die Entlassenen schon bald wieder in offizielle Ämter zurückkehren; zu stark seien ihre „Beziehungen“ zu Staat und Partei, als dass man sie fallen liesse. Vielmehr seien die Entlassungen und die Bekanntmachungen symbolträchtig erfolgt, um soziale Unruhen zu vermeiden. Einzelne Einträge in sozialen Medien geben chinesischen Reisegruppen die Schuld, das Virus erst nach Tibet eingeschleppt zu haben. China hatte sich in diesem Jahr bemüht, nach zwei Jahren Lockdown den Inlands-Tourismus nach Tibet anzukurbeln. Auch in anderen Regionen Tibets ausserhalb der TAR werden Covid-Fälle gemeldet, ohne dass Details bekannt sind. In einer IKEA-Filiale in Shanghai kam es zu chaotischen Szenen, als bekannt wurde, dass ein Kunde längeren Kontakt zu einem Jungen hatte, der nach Rückkehr aus Lhasa positiv getestet worden war. Als sich die Behörden anschickten, die Filiale abzuriegeln, um alle Besucher unter Quarantäne zu stellen, ergriffen Hunderte in Panik die Flucht. International Campaign for Tibet, 12. August 2022 Nach 20 Jahren erlauben die Behörden wieder ein Festival in Nyagchuka Seit der Verhaftung von Tulku Tenzin Delek, einem vor allem in dieser Region hoch angesehenen Gelehrten, durfte das Festival nicht stattfinden. Schon vor der chinesischen Invasion war das Festival sehr populär, aber mit Tenzin Deleks Anwesenheit wurde es noch grösser und auch um religiöse Unterweisungen erweitert. Solange Tenzin Delek anwesend war, durften bei den Picknicks keine alkoholischen Getränke konsumiert oder geraucht werden. Diese Restriktionen sind jetzt nicht mehr in Kraft. Kurz vor dem Beginn des Festivals wurde der Rand des Geländes mit chinesischen Flaggen umgeben. Tulku Tenzin Delek wurde wegen unterstellter Verwicklung in ein Bombenattentat im April 2002 in der Provinzhauptstadt von Sichuan, Chengdu, verhaftet. In einem Strafprozess, dessen Unabhängigkeit international angezweifelt wurde, wurden er sowie sein Assistent Lobsang Dondrub zum Tode verurteilt. Letzterer wurde umgehend nach dem Urteil hingerichtet, während die Strafe für Tenzin Delek zu 22 Jahren Haft umgewandelt wurde. Er starb am 12. Juli 2015 unter nicht geklärten Umständen im Gefängnis. Nach seinem Tod [vergl. Tibet-Information vom 24. Juli 2015; UM] hatten Angehörige von Tenzin Delek– wie auch zahlreiche NGOs im Ausland – eine unabhängige Untersuchung der Umstände seines Todes in Haft verlangt. Zwei Schwestern waren kurz zu seinem Sterbebett vorgelassen worden, wo er noch in Anstaltskleidung in seiner Zelle lag. Verfärbungen an Fingern und Lippen hatten Gerüchte um eine Vergiftung aufkommen lassen. Eine Todesbescheinigung mit Angabe der Todesursache wurde nicht ausgestellt. Nach Abgabe der Petition für eine Untersuchung wurden eine Schwester und ihre Tochter am 22. Juli 2015 in Haft genommen. Näheres über die Vorwürfe gegen sie sind nicht bekannt. Tenzin Delek wurde noch im Hochsicherheitsgefängnis kremiert. Angehörige und Freunde wollten die Asche in sein Heimatkloster bringen, aber die Urne wurde vor Beginn der Bestattungszeremonie von der Polizei konfisziert. Nach Angaben eines Verwandten in Indien drangen Polizisten nachts in die Unterkunft ein, in der die Gruppe auf halbem Wege zum Heimatkloster übernachtete und nahmen die Urne mit. Sie drohten sogar, die Asche in den benachbarten Fluss zu werfen. Radio Free Asia, 3. August 2022
4. August 2022 Insgesamt sind 12 verschiedene Kategorien von «illegalen Aktivitäten und Verbrechen» aufgeführt. Darunter sind die schon lange aus früheren Behördenmitteilungen bekannten “Aktivitäten” benannt, wie das Verbreiten von «Gerüchten», die die Staatsgewalt schwächen oder das sozialistische System diffamieren, sowie die Verbreitung von «illegalen» Nachrichten oder «Staatsgeheimnissen» in das Ausland, die Zusammenarbeit mit «illegalen» Organisationen im Ausland, und der Besitz von «illegalen» Publikationen. Die Bestimmungen sind mit Absicht sehr allgemein gehalten, was ein grosses Mass an Willkür in der Durchsetzung zulässt. Selbst das Lagern, der Verkauf oder die sonstige Weitergabe von Benzin oder Diesel, die gegen behördliche Bestimmungen verstossen, oder das «Ausnutzen des Einflusses von Familienclans in Dörfern» zur Störung der Stabilität auf dem Land werden als Anhaltspunkte aufgeführt. Belohnungen für Denunziation sind nicht neu. Bereits 2018 hat das Büro für Öffentliche Sicherheit im Bezirk Nagchu Geldprämien für Informanten ausgelobt, die Aktivitäten sogenannter „krimineller Vereinigungen“ übermitteln. Diese Mitteilung folgte auf eine ähnliche Order von Februar 2018, die die Bevölkerung aufruft, der Polizei alle Personen zu melden, die den Dalai Lama und seine „üblen Gefolgsleute“ unterstützen. Im Februar 2019 boten die Behörden in der «Autonomen Region Tibet» hohe Belohnungen für diejenigen, die unerwünschte Inhalte im Internet zur Anzeige bringen. International Campaign for Tibet, 8. Juli 2022 China baut Strassen an umstrittener Grenze zwischen Tibet und Indien aus Entlang der Strasse im Bezirk Kamba befindet sich ein wichtiges chinesisches Militärlager. In den letzten 2 Jahren hat China die Truppenkapazität im Abstand von 100 km zur Waffenstillstandslinie massiv von 20‘000 auf 120‘000 erhöht. Nach Ansicht des China-Experten an der Universität New Delhi, Prof. Srikanth Kondapalli, weisen diese Veränderungen auch auf Pläne zur weitergehenden „Sinisierung“ Tibets nach dem Tode des 14. Dalai Lama hin. Ein anderer Aspekt des Ausbauprogramms dürfte die Ankurbelung der derzeit lahmenden Wirtschaft in China sein. South China Morning Post, 20. Juli 2022 Hikvision präsentiert hochentwickelte Technologie für Verhöre Hikvision bietet ein integriertes System zur Überwachung von Verhören an, das mit dem sogenannten «Tiger-Sitz», der Verhörte in schmerzhaften Positionen fixiert, kombinierbar ist. Das System fertigt während der Verhöre eine Video-Aufnahme mit Mikrofon und Kameras aus mehreren Positionen an und überwacht gleichzeitig Vitalzeichen wie Pulsrate, Blutdruck und Sauerstoff-Gehalt des Blutes der Verhörten. Dazu kann es dank – laut Werbematerial – «intelligenter Verhaltensanalyse» Alarm schlagen bei «kraftvollen Bewegungen» der Verhörten. Das System ist mit einer Konsole und einer Festplatte zur Aufzeichnung ausgerüstet. Video-Aufnahmen werden automatisch auf eine DVD gebrannt, und das Verhörprotokoll kann sofort nach Ende des Verhörs zur Unterzeichnung durch die betroffenen Gefangenen ausgedruckt werden. Das System ist nur innerhalb der Volksrepublik China erhältlich und kostet dort zwischen $2'800 und $3'800. Detaillierte Informationen mit Bildern und Werbe-Videos sind unter Hikvision Interrogation Solution For PRC Police (ipvm.com) zu sehen. IPVM, 19. Juli 2022
30. Juni 2022 Thupten Lodoe (Pseudonym: Sabuchey), 34 Jahre alt, erhielt eine Haftstrafe von viereinhalb Jahren. Im Oktober letzten Jahres wurde er verhaftet und bis zur Urteilsverkündung an einem unbekannten Ort festgehalten. Seine Angehörigen wurden massiv unter Druck gesetzt, sich nicht zu seiner Verhaftung und dem Urteil zu äussern. Sabuchey beherrscht neben seiner tibetischen Muttersprache auch die chinesische Sprache fliessend und äusserte sich in beiden Sprachen auf Internet-Plattformen und Webseiten zu sozio-ökonomischen Themen und zur Situation in Tibet. Nach seinem Studium in China kehrte er nach Tibet zurück und arbeitete mehrere Jahre als Lehrer in einer Mittelschule im Bezirk Sershul. Er gilt als einer der profiliertesten Schriftsteller in seiner Generation. Die Sicherheitsbehörden hatten ihn mehrmals vorher wegen seiner Meinungsäusserungen verwarnt. Als er verhaftet wurde, konfiszierten die Behörden auch seinen Computer, um «Beweismaterial» sicherzustellen. Rongwo Gendun Lhundup (Pseudonym: Lhamkok), 48 Jahre alt, wurde im November 2020 im Kloster Rongwo in der heutigen chinesischen Provinz Qinghai im Norden Tibets verhaftet. Seitdem wird er an einem unbekannten Ort festgehalten. Im Dezember 2021 wurde er zu vier Jahren Haft verurteilt, zusätzlich zum Verlust seiner politischen Rechte für zwei Jahre. Seine Schriften befassen sich hauptsächlich mit der Situation der tibetischen Sprache und Kultur. Er bereiste viele Regionen in Tibet und administrierte die im tibetischen Sprachraum sehr bekannte Webseite «Tsenpo». Sein Gedichtband mit dem Titel «Der im Jahr des Schweins geborene» galt als Referenz an den Dalai Lama, der ebenfalls im Jahr des Schweins 1935 geboren wurde. Vor seiner Verhaftung war er mehrfach wegen seiner Kritik an der «Sinisierung Tibets» verhört worden. Sein letzter Gedichtband «Khorwa» über den Kreislauf von Tod und Wiedergeburt erschien unmittelbar vor seiner Verhaftung. Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), 18. / 19. Juni 2022 Umsiedlung von 130’000 Tibetern geplant Diese Massnahme „widerspiegelt einen auf den Menschen ausgerichteten Entwicklungsgedanken, der sowohl den Schutz der Umwelt als auch die Forderung der Menschen nach einem besseren Leben berücksichtigt“, so Wu Wei. Ausserhalb Chinas wurde diese Umsiedlungspolitik in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert. Beobachter wiesen darauf hin, dass die Umsiedlungen meist gegen den Willen der Betroffenen erfolgen, ohne dass sie Einsprachemöglichkeiten haben, dass Versprechen auf finanzielle Kompensationen oder berufliche Umschulungsangebote oft nicht eingehalten wurden, und dass Betroffene ohne Perspektive oder Arbeit in der neuen Umgebung in staatliche Abhängigkeit gerieten. Asian News International (ANI), 27. Juni 2022
20. Juni 2022 Neu ist nach Recherchen, die Gyal Lo vor seiner Flucht nach Kanada im letzten Jahr in Tibet durchführte, die Betroffenheit von kleinen Kindern im Alter von 4 bis 6 Jahren. In etwa 50 Internaten in allen Regionen Tibets sollen wenigstens 100'000 der Kinder interniert sein. Offizielle Angaben über diese Institutionen gibt es nicht. Die Kinder verbringen 5 Tage pro Woche in diesen Internaten und dürfen über das Wochenende zu ihren Eltern heimreisen. Während der Zeit des Unterrichts werden die Kinder in chinesischer Sprache unterrichtet und offenbar systematisch zur Annahme einer chinesischen Identität indoktriniert. Der Bericht zeigt dafür mehrere Beispiele. In einer Unterrichtseinheit werden die Kinder angehalten, ihre Augen zu schliessen, sich ein chinesisches Kulturobjekt vorzustellen, und wie sie es gebrauchen würden. In Aufführungen werden die Kinder in chinesische Armeeuniformen gekleidet und sollen Szenen aus dem Bürgerkrieg im letzten Jahrhundert darstellen. In Lehrbüchern sind Bilder von radikalisierten japanischen Soldaten mit Schwertern und Bajonetten zu sehen, die chinesische Zivilisten misshandeln, und wie die Rote Armee auf die Japaner feuert. Der Unterricht führt nach Angaben von Eltern dazu, dass sich viele Kinder bei Wochenendbesuchen im Elternhaus zurückziehen und «wie Gäste» verhalten. Schon nach drei Monaten im Internat begännen sie, miteinander in chinesischer Sprache zu reden. Im Internat wären die Kinder anfangs nicht fähig gewesen, ihre Grundbedürfnisse in chinesischer Sprache auszudrücken, so dass Tibeterinnen eingestellt werden mussten, die ihnen beim Zähneputzen und Waschen helfen sollten. Später wurde diese Praxis wieder eingestellt, weil sich das chinesische Lehrpersonal darüber beschwerte, dass die Tibeterinnen mit den Kindern in tibetischer Sprache kommunizieren. In manchen dieser Internate waren noch Bilder von historischen tibetischen Figuren zu sehen. Die Behörden hätten diese Schulen gezwungen, die Bilder abzuhängen und gegen Bilder von kommunistischen Führern auszutauschen. Ein Augenzeuge berichtete Gyal Lo, dass einige tibetische Eltern über weite Distanzen in die Nähe dieser Internate fahren und dort während der Woche im Auto übernachten, um ihren Kindern nahe zu sein. Gyal Lo ist in Amdo im Osten Tibets geboren und absolvierte seine universitäre Ausbildung im Fachbereich für Kultur und Sprache an der Hochschule für Nationalitäten in Lanzhou. Dort lehrte er auch als Assistent ab 1985 für 10 Jahre. Später promovierte er in Erziehungs-Soziologie an der Universität Toronto. Nach seiner Rückkehr nach China lehrte er als Professor in Erziehungswissenschaften an der Universität von Yunnan. Seit seiner Flucht im letzten Jahr lebt er in Toronto. Tibet Action Institute, 24. Mai 2022 Behörden behindern private Erdbebenhilfe durch lokale Bevölkerung Die Region um Barkham war am 10. Juni von einem Beben der Magnitude 6.0 erschüttert worden. Vor allem Mönche, aber auch die übrige Bevölkerung, leisteten sofortige Hilfe mit Nahrungsmitteln, Kleidern und Zelten für die etwa 25'000 betroffenen Personen, deren Häuser unbewohnbar wurden. Erst nach 3 Tagen kam ein chinesisches Rettungsteam dort an. Alle lokalen Helfenden wurden gleich nach der Ankunft angewiesen, den Ort «zu ihrer eigenen Sicherheit» zu verlassen. Jetzt sind sämtliche Kommunikationsleitungen in die betroffene Region gesperrt. Der lokalen Bevölkerung wurde es untersagt, Bilder von den Zerstörungen oder Berichte darüber zu versenden. Über Opfer ist nichts bekannt; laut offiziellen staatlichen Medien wurde lediglich eine Person durch das Beben verletzt. Derartiges Verhalten der Behörden ist nicht neu. Nach dem verheerenden Erdbeben im Bezirk Yushu in der Provinz Qinghai im Norden Tibets von April 2010 gab es massive Beschwerden der lokalen Bevölkerung über die Behinderung der Rettungsaktionen von Mönchen, die teils mit blossen Händen nach Opfern gruben. Die Mönche und tibetische Geschäftsleute mit Spenden wurden weggewiesen. Kurz darauf erschienen Kamerateams des staatlichen Fernsehens und filmten chinesische Armeeangehörige, die aber wegen der Höhenkrankheit und des winterlichen Wetters kaum einsatzfähig waren. Wegen Verständigungsproblemen mussten hastig Übersetzer herbeigeholt werden. Rettungsarbeiten hätten sich lange auf Wohnsitze der chinesischen Elite konzentriert. Die staatliche Propagandabehörde wies damals die Medien an: „Sprechen Sie über das Erdbeben in ‚wissenschaftlichen Begriffen’; üben Sie keine Kritik an dem Erdbeben-Frühwarnungsinstitut; geben Sie den Bemühungen der buddhistischen Mönche bei der Katastrophenhilfe nicht zuviel Gewicht; behandeln Sie die von dem staatlichen Fernsehsender CCTV organisierten Spendenaufrufe in aller Ausführlichkeit!“ Ausserdem erinnerte das Informationsbüro des Staatsrates, das für die Überwachung des Internets zuständig ist, die hauptsächlichen Websites daran, dass sie nicht einfach berichten können, was ihnen beliebt [vergl. dazu Tibet-Informationen vom 19., 23., 30. April und 4. Mai 2010; UM]. Radio Free Asia, 15. Juni 2022
10. Juni 2022 Neu an den Bestimmungen, die eine vorherige Version von 2010 ablösen, ist die gemeinsame Verantwortlichkeit des Finanzministeriums und Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten. Vorher war die Rolle des Finanzministeriums nicht spezifiziert, und die Kontrolle lag beim Ministerium für Religiöse Angelegenheiten. Offenbar waren die Bestimmungen von 2010 zur Handhabung der Finanzen von den Klöstern häufig unterlaufen worden. Die neuen Bestimmungen widerspiegeln die Absicht von Partei und Regierung, Grauzonen der alten Version zu beseitigen, sowie die Kontrolle zwischen den zwei Ministerien zu koordinieren und zu verstärken. Neu ist, dass beide Ministerien die «Anleitung» und «Kontrolle» der Klosterfinanzen übernehmen, während dieses vorher den Gremien der Klöster selbst überlassen war. Klöstern dürfen nicht länger Einnahmen aus wohltätigen Aktivitäten generieren. Spendenbescheinigungen dürfen nicht mehr durch die Klöster selbst ausgestellt werden, sondern dafür müssen nun offizielle Vordrucke der Provinzregierungen verwendet werden. Problematisch ist eine weitgefasste Bestimmung, nach der andere «relevante Regierungsstellen» Inspektionen der Klöster durchführen können, was die Tür zur Kontrolle durch beliebige Instanzen öffnet. International Campaign for Tibet, 1. Juni 2022 Journalistinnen werden Ziele chinesischer Online-Attacken Die von diesen Konten verbreiteten Nachrichten sind teils beleidigend und bombardieren die Empfängerinnen pauschal mit Vorwürfen von Falschnachrichten über China. Noch bösartiger sind individualisierte Attacken, die persönliche Umstände oder Aspekte des beruflichen und privaten Lebens der Journalistinnen angreifen, was aufwändige vorherige Recherchen über die Betroffenen voraussetzt. Diese werden als «Verräterinnnen» und «Lügnerinnen» beschimpft, die ihr Mutterland «verraten». Mehr noch, auch ihre körperliche Erscheinung und professionelle Kompetenz werden angegriffen, oft im Kontext von ihren vorherigen Publikationen in Medien. Die Nachrichten enthalten herabsetzende rassistische und sexistische Bemerkungen oder Drohungen wie «Verräterinnen sterben schlecht» oder «Verräterinnen nehmen kein gutes Ende». Die absendenden Twitter-Konten zeigen Profilfotos von unbeteiligten Personen, die im Internet gestohlen wurden, oder auch Gesichter, die mit künstlicher Intelligenz angefertigt sind, sogar solche von Jugendlichen. Interventionen von anderen Ländern, diese Konten zu blockieren, werden damit unterlaufen, dass stets neue Konten kreiert werden und so die Präsenz im Internet aufrechterhalten bleibt. Statistiken und zahlreiche andere Indizien von ASPI über die Herkunft dieser Attacken weisen auf China hin. Die Attacken schwollen jeweils während der Bürozeiten in China an und nahmen zum Feierabend ab, und waren fast nicht existent während der chinesischen Frühlingsferien. Derartige Einflussnahmen über soziale Medien sind nicht neu. Eine Studie von BBC vom 28. Mai 2020 (https://www.bbc.com/news/blogs-trending-52657434) zeigte auf, dass China seit Beginn des Jahres 2020 mit über 1'200 gefälschten Benutzerkonten versuchte, Regierungspropaganda zu verbreiten. Diese Konten verbreiteten im Wesentlichen regierungsoffizielle Meinungen über die Bewältigung der Corona-Pandemie und die Demokratiebewegung in Hongkong in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und YouTube; bemerkenswert ist, dass diese Netzwerke innerhalb der Volksrepublik China für gewöhnliche Nutzer gesperrt sind. Dieses Netzwerk weist auffallende Ähnlichkeiten mit dem 2019 entstandenen Netzwerk «Spamouflage Dragon» auf, das gleichermassen regierungsoffizielle Nachrichten verbreitete und Regierungskritiker mit Fluten von nutzlosen Nachrichten eindeckte. Die Mehrzahl der dieser gefälschten Konten entstand zwischen Januar und Mai 2020. Zumeist verwendeten sie Profilbilder ohne Wissen der unbeteiligten Personen, die diese von sich anderweitig in Netzwerken gepostet haben. Dabei unterliefen auch amateurhafte Fehler, wenn zum Beispiel ein männliches Profilbild mit einem weiblichen, oft englischen oder russischen, Namen unterlegt war. ASPI, 3. Juni 2022
25. Mai 2022 Nun wird bekannt, dass offenbar die Mönche des Klosters gezwungen wurden, Selbsterklärungen zu unterzeichnen, dass sie am Abriss selbst schuld sind. Es ist nicht bekannt, worin diese «Schuld» besteht. Der Abriss wurde im Dezember damit begründet, dass die Statue die maximal erlaubte Höhe überschritten habe. Diese Begründung war nicht plausibel, weil nach Angaben der Mönche vor der Errichtung alle Genehmigungen eingeholt wurden. Die verhafteten 11 Mönche sind wieder auf freiem Fuss, werden aber laut Informanten ständig beobachtet und belästigt. Radio Free Asia, 23. Mai 2022 Alle privaten tibetischen Schulen im Bezirk Sershul wurden geschlossen Die Anordnung betrifft Primarschulen in vorwiegend nomadisch besiedelten Gebieten. Sechs dieser Schulen sind namentlich bekannt; insgesamt gibt es nach Schätzungen etwa ein Dutzend über den Bezirk verstreute Schulen. Die betroffenen Eltern haben eine Petition eingereicht, in der sie die Bedeutung dieser Schulen für die tibetische Kultur und Identität betonen, aber ihr wird keine Chance auf Berücksichtigung eingeräumt. In einem ausführlichen Bericht von TCHRD (https://tchrd.org/ch/sucked-our-marrow-tibetan-language-and-education-rights-under-xi-jinping/) wird das Beispiel einer Schule angeführt, deren Autonomie über mehrere Jahre bis zur kürzlichen Schliessung immer mehr eingeschränkt wurde. Die Schule mit etwa 130 Schülerinnen und Schülern operierte anfänglich vollkommen autonom. Sie war bekannt für sehr gute Noten, die die insgesamt etwa 500 Kinder, welche die Schule abschlossen, in weiterführenden Schulen besonders in Fächern für tibetische Sprache und Geschichte erzielten. Die Schule verlor einen Teil ihrer Autonomie bereits 2013, als ein neuer Direktor und mehrere Lehrkräfte von den Behörden ernannt wurden. Vier Jahre später wurde der Lehrbetrieb nur noch bis Klasse 4 erlaubt, Lehrkräfte der Klassen 5 und 6 verloren ihre Arbeit, und die betroffenen Schülerinnen und Schüler mussten regierungsoffizielle Schulen besuchen. Bis 2020 hatte die Schule dennoch eine gewisse Autonomie, tibetische Kultur und Geschichte in ihrem Curriculum zu priorisieren. Dazu unterrichtete sie chinesische und englische Sprache. Dann wurden die Lehrbücher gegen die landesweit offiziellen chinesischen Bücher ausgetauscht, die laut Betroffenen die chinesische Nation und Partei «glorifizieren». Parallel zum Regelunterricht bot die Schule seit 2012 einen Extra-Unterricht während der Winterferien an, in denen die Kinder Lektionen in tibetischer Sprache, Kultur und Geschichte erhielten. Nahezu alle 200 Schülerinnen und Schüler im Bezirk Sershul hätten diesen freiwilligen Unterricht besucht. Mehr und mehr werden diese privaten Initiativen in Tibet verboten. Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), 18. Mai 2022
20. April 2022 Aus der Provinz Golog im Nordosten Tibets wurden zwischen Februar und März 16 Workshops in einer lokalen Schule abgehalten. In einem der Workshops, am 9. März, hielten die Unterrichtenden die Eltern nicht nur dazu an, ihren Kindern die chinesische Sprache beizubringen, sondern auch das «Denken zu beeinflussen». Das Lehren dieser Sprache sei ein Beitrag zum Verwirklichen des «chinesischen Traums». Im Bezirk Nyima fand am 12. März ein ähnlicher Workshop statt, der auch von Parteikadern und Behördenvertretern besucht wurde. Die Anwesenden wurden zum Lernen der «Gebrauchssprache», sprich Chinesisch, angehalten und zusätzlich angewiesen, sich mit den Ideen des Präsidenten Xi Jinping vertraut zu machen, um diese in ihren Dörfern zu verbreiten. Die Kampagne trifft eine überwiegend nomadische Bevölkerung, die noch stärker tibetischen Traditionen verhaftet ist, und ist zu verstehen im Kontext des im Dezember von der Regierung angekündigten Ziels, dass bis 2025 mindestens 85% der Bevölkerung die chinesische Sprache als «Muttersprache» annehmen. Die Kampagne betrifft nicht nur Tibet, sondern auch die Südliche Mongolei. In vielen Schulen sind Banner aufgehängt mit der Aufschrift «Chinesisch ist meine Muttersprache». Eine Lehrkraft berichtet gegenüber Tibet Watch, dass auch sie verstärkt dazu angehalten werden, nicht nur im Unterricht, sondern auch miteinander in der Lehrerschaft ausschliesslich chinesisch zu sprechen. Das Beherrschen der chinesischen Sprache sei ein grosser Vorteil bei Anstellungen. In der Provinz Ngaba im Osten Tibets werden vermehrt Polizeikräfte in den Schulen stationiert. Im Namen des «Wohlbefindens und der Sicherheit von Schulkindern» halten die Polizeikader Unterrichtseinheiten zum «Lernen des korrekten Verhaltens» ab und beaufsichtigen darüber hinaus das tägliche Verhalten von Schülerinnen und Schülern. Tibet Watch, 14. April 2022 Sorge um Aktivisten Tashi Wangchuk Tashi Wangchuk war zu 5 Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er nach Beijing gereist war, um eine Petition zum Erhalt der tibetischen Sprache direkt bei der Zentralregierung abzugeben. Sein «Vergehen» bestand darin, sich von einem Reporter der New York Times begleiten zu lassen. Er war im Januar 2021 aus der Haft entlassen worden, stand aber unter ständiger Polizeiaufsicht und verlor für 5 Jahre seine bürgerlichen Rechte. Dennoch setzte er sich weiter für den Erhalt der tibetischen Sprache ein. Im Januar besuchte er mehrfach Behörden in Yushu und forderte sie auf, die tibetische Sprache im Unterricht und Behördengebrauch zu erhalten. Seine Reise in den Nordwesten Tibets im April wurde immer wieder durch polizeiliche Interventionen behindert. Innert weniger Tage wurde er aus 6 Gästehäusern geworfen, nachdem jeweils die Polizei bei den Gastgebern interveniert hatte. Die Begründungen waren fadenscheinig: ein fehlendes Covid-Zertifikat, ein generelles Verbot, auswärtige Gäste aufzunehmen, oder die Schliessung des Gasthauses wegen «anderweitiger Probleme». Einmal drang eine Eliteeinheit der Polizei in sein Zimmer ein und zwang ihn zum sofortigen Verlassen. Bei seinem Besuch bei der lokalen Behörde, um eine Petition zum Bleiben abzugeben, wurde er Zeuge eines Anrufes der Polizei, die die Behörde anwies, ihn nicht zu empfangen. Kurz darauf erklärte ihm ein Mitarbeiter, dass derzeit niemand anwesend sei, um sein Anliegen zu hören. Weitere Behördenstellen erklärten sich nicht für zuständig und verwiesen ihn jeweils an eine andere Behörde. Diese waren aber «geschlossen». Seine Odyssee durch die Gästehäuser und die Polizei-Intervention dokumentierte er mit Fotos auf Weibo, doch seit dem 10. April ist er von der Plattform verschwunden. Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) und Radio Free Asia, 15. April 2022
5. April 2022 Das 550 Jahre alte Kloster Kirti und die gleichnamige Ortschaft waren am häufigsten Schauplatz von Selbstverbrennungen; etwa ein Viertel der 160 bekannt gewordenen Selbstverbrennungen ereigneten sich dort. Seit Beginn der Serie von 12 Jahren wurde das Kloster unter strikte Polizeiaufsicht gestellt. Polizeieinheiten in der Stadt wurden sogar mit tragbaren Feuerlöschgeräten ausgerüstet. Vier Tage zuvor soll sich ebenfalls ein Tibeter in Brand gesetzt haben. Von ihm ist nur der Name bekannt, Tsering Samdup. Noch fehlen Hinweise, die dieses bestätigen. Er habe sich vor einer Polizeistation in Kyegudo (auch Jyekundo oder Gyêgumdo geschrieben) in der Präfektur Yushu, ebenfalls im Osten Tibets, angezündet haben. Details über seinen Verbleib oder Zustand sind nicht bekannt. Er wurde beschrieben als eine «sehr gebildete Person». Radio Free Asia, 31. März und 3. April 2022 China verbannt tibetische Sprache von Videos und elektronischen Medien Die jetzt verordnete Verbannung der tibetischen Sprache betrifft auch Künstler und Künstlerinnen, die ihre Aufführungen über elektronische Medien vermitteln. Wird eine Aufführung in tibetischer Sprache gesendet, oder werden tibetische Kultur und Tradition dargestellt, wird das Benutzerkonto sofort gelöscht. Live gesendete Aufführungen werden unmittelbar unterbrochen. Nach einem Regierungsdekret vom 20. Dezember bedarf es schon seitdem einer staatlichen Lizenz für ausländische Individuen oder Organisationen, um religiöse Inhalte innerhalb Chinas zu vermitteln. Radio Free Asia, 23. März 2022 Restriktionen anlässlich Trauerzeremonien für verstorbenen Gelehrten Choktrul Dawa Rinpoche verbrachte insgesamt 19 Jahre im Gefängnis. Bereits 1960 wurde er zu 5 Jahren Haft verurteilt, weil der die chinesische Invasion kritisiert hatte. Danach befand er sich während der Zeit der Kulturrevolution 7 Jahre in Haft, und schliesslich nochmals für 7 Jahre seit 2010, weil er mit dem Dalai Lama im Exil kommuniziert hatte. Radio Free Asia, 25. März 2022
15. März 2022 Tsewang Norbu war ein talentierter Musiker und Sänger, der gerade unter Jugendlichen in Tibet und auch im Ausland sehr populär war. Er stammt aus Nagqu nördlich von Lhasa und absolvierte eine Universitätsausbildung in Lhasa. Auch seine Mutter, Sonam Wangmo, ist eine bekannte und mit Preisen ausgezeichnete Musikerin. Während beide in offiziellen Staatsmedien oft präsent waren, verbüsst der Bruder der Mutter, Sogkhar Lodoe Gyatso, derzeit eine 18-jährige Haftstrafe. Er wurde vor 4 Jahren verhaftet, nachdem er eine Videobotschaft für eine weltweite Friedensbewegung verbreitete und am 28. Januar 2018 einen Protestmarsch um den Potala-Palast durchführte. Noch am Tage seiner Selbstverbrennung postete Tsewang Norbu einen Beitrag auf dem in China meist benutzen sozialen Netzwerk Weibo. Sein Konto wurde unmittelbar nach seiner Selbstverbrennung gelöscht. Radio Free Asia, 4. März 2022 Hintergrund: Repressionskampagne in Dragko seit 2012 Nachdem erste Verhaftungen im Januar bekannt wurden, berichtet TCHRD von mindestens 10 weiteren Tibeterinnen und Tibetern, die seit Februar in Haft sind. Nur von drei Personen sind die Namen bekannt. Offenbar befinden sich die Verhafteten in einer älteren Polizeistation. Die Thangnakma-Polizeistation nahe dem Dorf Dropa, etwa 5 km von der Stadt Dragko entfernt, wurde 2012 zu einem Internierungslager für politische Häftlinge umgebaut, nachdem es in der Region zu Protesten kam [vergl. Tibet-Information vom 23. und 26. Januar 2012; UM]. Die Unruhen von 2012 ereigneten sich im Zuge von Verhaftungen, die das Büro für Öffentliche Sicherheit vornahm. In den Tagen davor waren in Drango mehrere Flugblätter und Plakate aufgetaucht, die weitere Selbstverbrennungen ankündigten, falls China weiter die Forderungen der Tibeter ignorieren sollte. Die Polizeistation selbst war nach den Unruhen 2008 errichtet worden. TCHRD berichtet, dass dort Protestierende seit 2012 extralegal ohne Anklage gefangen gehalten und «umerzogen» würden. Dieses erinnere an das eigentlich seit 2013 offiziell abgeschaffte System der «Umerziehung durch Arbeit», wo Betroffene allein durch polizeiliche Verfügung, aber ohne Gerichtsurteil, bis zu 4 Jahren untergebracht werden konnten. Immer wieder wurde auch über körperliche Misshandlungen und sexuellen Missbrauch in derartigen Lagern berichtet. In Thangnakma müssen Gefangene offenbar auch Zwangsarbeit leisten und werden körperlich misshandelt. Ein Tibeter habe durch Misshandlungen ein Auge verloren. Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), 24. Februar 2022 Fotos der Padmasambhava-Statue https://www.rfa.org/english/news/tibet/statue-02282022155542.html
21. Februar 2022 Tibeter und Tibeterinnen müssen Spionage-App auf ihren Telefonen installieren Tibet Watch schildert den Fall einer tibetischen Nonne, Lobsang Tsomo, die nach Entlassung aus der Haft nicht mehr ausserhalb ihres Wohnbezirks reisen darf. Angeblich seien auch noch mehrere andere Nonnen in Haft gewesen. Tibet Watch, 11. Februar 2022 Nomaden in Arbeitslagern interniert – und Warnung an Klöster Nahezu alle Betroffenen seien Nomaden, sagte ein Informant für Radio Free Asia. Die Zahl der Internierten sei «sehr gross». Derweil besuchte der Präsident der Kommunistischen Partei in der «Autonomen Region Tibet», Wang Junzheng, mehrere Klöster und mahnte sie, speziell im Vorfeld des 10. März, des Jahrestages des tibetischen Volksaufstandes 1959, «patriotisches und gesetzkonformes Verhalten» zu zeigen. Radio Free Asia, 14. und 18. Februar 2022 Zum ersten Mal wird eine Polizeieinheit in einem tibetischen Kloster stationiert Wie in Dragyab und Chamdo müssen auch hier die Mönche eine Spionage-App auf ihren Telefonen installieren. Speziell jüngere Mönche würden von den Polizisten gedrängt, chinesische Schulen in der Region zu besuchen. Der damalige Parteipräsident in der «Autonomen Region Tibet», Zhang Qingli, hatte bereits seit den Aufständen 2008 mobile Polizeieinheiten in der Region aufgebaut, die die Klöster kontrollieren. Die permanente Stationierung in einem Kloster ist aber eine neue Entwicklung. Radio Free Asia, 16. Februar 2022
25. Januar 2022 Besonders betroffen ist die buddhistische Akademie Larung Gar, die seit 2001 Ziel von zwei massiven Wellen von Zerstörung und Wegweisungen von Gläubigen war. Die Zahl chinesischer Praktizierender und Studierender ist seitdem erheblich zurückgegangen, nochmals signifikant seit einer Verstärkung der Massnahmen im Rahmen der Kampagne seit letztem Herbst. Vor Anwendung der Restriktionen wurde die Zahl chinesischer Praktizierender in Larung Gar auf 2'000 von insgesamt 5'000 geschätzt. Laut Anordnung der Partei darf tibetischer Buddhismus nur noch in Tibet praktiziert werden, nicht aber in China selbst. Gläubige aus China müssen an ihren Wohnort zurückkehren und entweder zur chinesischen Variante des Buddhismus konvertieren oder aber von allen religiösen Betätigungen absehen. Wer als Mönch oder Nonne nicht in einem Kloster in China Aufnahme findet, muss in den Laienstand wechseln. Alle müssen sich nach Rückkehr aus Tibet bei der lokalen Polizeistation anmelden. Es ist ihnen auch verboten, nach Tibet zurückzukehren; zur Überwachung müssen sie sich regelmässig bei ihrer lokalen Polizeistation melden. Die Zugangsstrassen und sogar die Bergpfade nach Larung Gar werden rund um die Uhr von Posten bewacht. In Larung Gar selbst kontrollieren die dort stationierte Polizei und die weltliche Verwaltung, das sogenannte «Management-Komitee», regelmässig die Unterkünfte. Larung Gar förderte die Gleichheit der Geschlechter. Weit mehr als die Hälfte der 5'000 Praktizierenden waren Frauen, ebenso absolvierten 104 Frauen von insgesamt 200 Teilnehmenden erfolgreich die 12- bis 14-jährige höheren buddhistischen Studien zum Grad des Khenpo. In China waren in den letzten Jahren zahlreiche kleine Gemeinschaften von Gläubigen entstanden, die den tibetischen Buddhismus studierten. Diese wurden intensiv von den Behörden überwacht; einige Mitglieder wurden nach Verhören gezwungen, zu Informanten zu werden. Auch werden neuerdings virtuelle Belehrungen unterbunden. Am 1. März tritt ein neues Gesetz über die Regulierung von «Religiösen Diensten im Internet» in Kraft. Die Online-Seminare von Larung Gar, die seit letztem Jahr sehr erfolgreich angeboten wurden, sind seit November 2021 eingestellt. Individuen oder Organisationen, die Online-Belehrungen anbieten wollen, müssen sich bei den Provinzverwaltungen um eine Erlaubnis bemühen. Zugelassen sind dafür nur chinesische Staatsangehörige, die auch in China selbst leben. Laut der Parteizeitung «Global Times» sollen religiöse Online-Seminare der «sozialen Harmonie» dienen und Gläubige dazu anhalten, «das Mutterland zu lieben» und «die Gesetze zu beachten». China ist sehr besorgt über die Hinwendung der Bürger zum Buddhismus. Insgesamt wird die Zahl der Gläubigen in China auf 185 bis 250 Millionen geschätzt, das sind mehr als die Kommunistische Partei Mitglieder hat. Die Restriktionen werden bis auf Stadt- und Dorfebene durchgesetzt. Bekanntgewordene Dekrete wenden sich gegen religiöse Stätten, in denen «feudale und abergläubische Praktiken» gepflegt werden und verbieten die Errichtung «grösserer» Buddha-Statuen ausserhalb von Bauwerken. International Campaign for Tibet 20. Januar 2022: https://savetibet.org/containing-the-eastward-movement-of-tibetan-mysticism-targeting-chinese-buddhist-practitioners-at-larung-gar-academy/
17. Januar 2022 Im Kloster Dragko wurde eine zweite, etwa 10 m hohe Buddha-Statue zerstört. Insgesamt 11 Mönche des Klosters wurden verhaftet, darunter der Abt des Klosters. Ihnen wurde vorgeworfen, Informationen über die Zerstörung der Statue an das Ausland weitergegeben zu haben. Die Mönche müssen an «patriotischer Umerziehung» teilnehmen, die Kommunistische Partei loben und die chinesische Sprache lernen. Mehrere Mönche wurden gefoltert, um, wie ihnen mitgeteilt wurde, «eine Lektion zu erteilen». Einem gefolterten Mönch wurde vorgehalten, er habe «keinen angemessenen Gesichtsausdruck» gezeigt. Abgesehen von Schlägen wurde auch berichtet, dass die Mönche gezwungen wurden, unbekleidet längere Zeit in der eisigen Kälte zu stehen. Die Bewohner des Ortes mussten dem Abriss der Statue zusehen. Danach wurde ihnen verboten, Gebetsfahnen aufzuhängen. Ihre Öfen, die sie auch für rituelle Zwecke wie dem Verbrennen von Weihrauch nutzen, wurden zerstört. Im Bezirk Dragko soll die Hühner- und Schweinezucht schwerpunktmässig forciert werden. Nach Berichten aus der Region werden die Anwohner mit Geld- und Gefängnisstrafen bedroht, wenn sie dieses nicht bedingungslos unterstützen. Am Ort der zerstörten tibetischen Gaden Rabten Namgyaling Schule soll eine dieser Hühner- und Schweinefarmen entstehen. Die Schule stand unter der Leitung des Klosters Dragko und bot Schülerinnen und Schülern Ausbildung in tibetischer Kultur und Religion. Zwischen 2014 und 2018 war das Gebäude renoviert worden. Die Schule musste vom Personal eigenhändig innert drei Tagen abgerissen werden, angeblich, weil sie ohne Genehmigung errichtet war [vergl. Tibet-Information vom 8. November 2021; UM]. Der Präsident des Bezirks Dragko, Wang Dongsheng, war vorher in gleicher Position der Verantwortliche für die Zerstörung der Klosterakademie Larung Gar. Radio Free Asia, 7. Januar 2022, Satellitenbilder vom Ort der Statue vor und nach ihrer Zerstörung: https://www.rfa.org/english/news/tibet/news-01072022144013.html Central Tibetan Administration, 14. Januar 2022 Zwei tibetische Mönche aus Dragko seit August verschwunden Nach Berichten von Angehörigen und Freunden seien sie schon lange von den Behörden unter Beobachtung gewesen. Ihnen sei vorgeworfen worden, unerlaubt inoffiziellen tibetischen Sprachunterricht erteilt zu haben. Einer von ihnen, Wangchen Nyima, war schon 2015 in Haft, nachdem die Behörden zwangsweise Unterrichtsklassen in seinem Kloster geschlossen hatten. Central Tibetan Administration, 14. Januar 2022
6. Januar 2022 Die Statue war im Jahre 2015 errichtet worden, um Erdbeben wie dasjenige, das die Region 1973 erschüttert hatte, abzuwehren. Die Kosten für die Errichtung der Statue beliefen sich auf umgerechnet ca. CHF 6 Millionen und sollen durch Spenden der lokalen Bevölkerung getragen worden sein. Der Wert der zerstörten Gebetsräder wird auf nochmals umgerechnet ca. CHF 260'000 beziffert. Angeblich sei die Statue damals mit Genehmigung der lokalen Behörden errichtet worden. In den letzten drei Jahren seien Inspektoren erschienen und hätten die Grösse der Statue bemängelt. Der Abriss erfolgte nach Widerruf der Genehmigung, nun mit der Begründung, die Statue sei zu gross. Die Zerstörung der Gebetsräder erscheint damit aber immer noch willkürlich. Erst im November war am gleichen Ort die Gaden Rabten Namgyaling Schule auf behördliche Weisung abgerissen worden [vergl. Tibet-Information vom 8. November 2021; UM]. Das Gebäude habe gegen ein Gesetz verstossen, das Schulbauten in dieser Zone nicht erlaubt. Die Schulleitung wurde aufgefordert, innerhalb von 3 Tagen selbst Hand an den Abriss zu legen, sonst würde die Schule durch die Regierung abgerissen und alles Inventar beschlagnahmt. Die Schule stand unter der Leitung des Klosters Dragko und bot Schülerinnen und Schülern Ausbildung in tibetischer Kultur und Religion. Zwischen 2014 und 2018 war das Gebäude renoviert worden. Bilder der Statue: https://tibet.net/cultural-revolution-like-crackdown-china-demolished-a-sky-high-buddha-statue-and-45-huge-prayer-wheels-in-drakgo-tibet/, Bericht in tibet.net vom 28. Dezember 2021 China unterhält grosses Netz zur Desinformation Miburo identifizierte insgesamt 2’009 Benutzerkonten, 1’632 auf Facebook, 319 auf YouTube, and 60 auf Twitter, die sich den üblichen Identifikationssystemen der Anbieter für Desinformation entziehen. Wird ein Konto dennoch erkannt und gelöscht, erscheint kurz darauf ein neues. Die Konten vernetzen und kommentieren sich jeweils untereinander und täuschen so eine hohe Zahl von interessierten Nutzern und Nutzerinnen vor. Das Netz ist mit Details der jeweiligen Verbindungen und Themen unter dem u.a. Link abgebildet. Thematisch widmet sich das Netz vor allem 4 Bereichen:
https://miburo.substack.com/p/spamouflage-survives, 22. Dezember 2021 New York Times, 22. Dezember 2021
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